Wie funktioniert Showhypnose?

Wer einmal einen Showhypnotiseur gesehen hat, weiß, dass ihre Wirksamkeit nicht auf persönliche Magie oder eine charismatische Ausstrahlung zurückzuführen ist. Showhypnotiseure wirken allesamt ziemlich halbseiden mit ihren Goldkettchen und halb aufgeknöpften Hemden, ihren nietenbesetzten Jacketts und den nie fehlenden ordinären Anspielungen. Es sind Herren, die man eigentlich eher in einer Eckkneipe vermuten würde und die die niederen Formen des Humors zu bedienen wissen (z.B. ein Showhypnotiseur nach der Demonstration einer kataleptischen Brücke mit einem jungen Mädchen zum Freund des Opfers: „Ich war heute schon auf deiner Freundin – wie findest du das?“ – allgemeines Gelächter). Sind es dennoch vielleicht geniale Techniker, oder wirkt da am Ende doch etwas magisches, das man rationale nicht erklären kann? Wie also funktioniert die Show- oder Bühnenhypnose, und warum funktioniert sie überhaupt? Ist das nun „Hypnose“ oder nicht?

Spieltrieb

Ein Faktor, der zum Funktionieren der Showhypnose beiträgt, ist der Wunsch der Versuchsperson, „zu sehen, ob das mit der Hypnose funktioniert„. Um zu sehen, ob es funktioniert, muss man natürlich zuerst einmal mitspielen. Wenn man gleich zu Beginn der Show „aussteigt“, dann ist die aktive Teilnahme an der Show vorbei, und man muss zurück ins Publikum. Das ist weniger spannend, als auf der Bühne mit dabei zu sein. Man „spielt“ also erst mal „mit“, ähnlich wie Kinder bei einem Kindergeburtstag Sackhüpfen, Eierlaufen oder Topfschlagen mitspielen. Man macht mit, weil es Spaß zu machen scheint, und weil man danach seinen Freunden etwas Interessantes zu erzählen hat. Durch das anfängliche, bereitwillige Mitspielen wird man langsam in eine Rollenidentifikation hineingezogen, die man dann nicht mehr ohne weiteres freiwillig kontrollieren oder verlassen kann (dazu weiter unten mehr).

Vermeidung von Peinlichkeit

Man empfindet es als peinlich, manchmal sogar als persönliches Versagen, auf einer Bühne, im Scheinwerferlicht, plötzlich kundzutun, dass „es“ bei einem „nicht funktioniert“. Ich habe bei insgesamt vier Showhypnotiseuren auf der Bühne gestanden und habe diese Peinlichkeit jedes Mal empfunden, wenn der Showhypnotiseur zu mir sagte, dass „es“ bei mir nicht klappte. Ich war enttäuscht und fühlte mich aus dem Spiel ausgeschlossen. Ich hatte das irrationale Gefühl, mir eine Blöße gegeben zu haben, als ob bei mir etwas nicht in Ordnung sei, oder als ob ich dem Showhypnotiseur die Show vermasseln wollte. Für Menschen, die noch nie auf einer Bühne gestanden haben, kann das „Aussteigen“ aus der Show mit großer Peinlichkeit belegt sein. Das Aussteigen erfordert eine gewisse Courage. Man will nicht als „Spielverderber“ gelten und auf der Bühne aller Augen auf sich ziehen. Also spielt man weiter mit.

Das Fehlen eines klaren Ausstiegszeitpunktes

Sofern man als Versuchsperson des Showhypnotiseurs noch wach oder nur in einem leichten Trance-Zustand ist, könnte man eigentlich jederzeit aussteigen und „nicht mehr mitspielen“. Man weiß allerdings nie, wann man aussteigen soll. Die Hinführung zu den Showhypnose-Tricks geschieht in kleinen Schrittchen, sozusagen in einer Salami-Taktik. Zuerst steht man unbeweglich da und schaut auf ein helles Licht, während der Showhypnotiseur mit sicherer Stimme zu einem spricht. Nun gut, warum sollte man nicht eine Weile bewegungslos dastehen und zuhören. Das ist ja offenbar erst das „Vorspiel“ für die Hypnose. Das Schauen in das Licht ist aber für die Augen auf die Dauer ziemlich anstrengend. Warum sollte man also nicht die Augen schließen, wenn Knoke sagt: „Bitte schließe jetzt die Augen“? Er hat freundlich darum gebeten, und man ist ja schließlich ein höflicher Mensch. Dann sagt der Showhypnotiseur, dass man sich nach hinten fallen lassen solle, wenn er einen „an der Stirn berührt“. (Diese „Berührung“ ist dann eher ein kräftiger Schubs am Kopf nach hinten.) Warum sollte man sich nicht fallen lassen? Das lange, bewegungslose Stehen war sowieso unangenehm, und der Showhypnotiseur hat ja gesagt, er würde einen von hinten sicher auffangen, es könne nichts passieren. Und wenn man dann auf dem Boden liegt – warum sollte man sich nicht von dem unentwegt weitersprechenden Showhypnotiseur den Kopf zur Seite drehen lassen. Und wenn er einem dann auf die Augenlider pustet, dann öffnet man die Augen praktisch reflektorisch. Das würde man sowieso tun, wenn einem jemand auf die geschlossenen Augen pustet. Auch in vollem Wachzustand ist man also auf einer Bühne bereit, Aufforderungen dieser Art zu folgen. Man erwartet ja, dadurch „hypnotisiert“ zu werden, und das möchte man ja gerade gerne mal erleben. Auf diese Weise wird man Schritt für Schritt an ein gehorsamsbereites Verhalten herangeführt. Hierbei ist es zunächst egal ob man „wirklich“ hypnotisiert ist oder nicht. Durch die Salami-Taktik entsteht kein Gefühl für einen Punkt, an dem man aussteigen möchte. Da die Übungen am Anfang noch zur Einleitung der Hypnose zu gehören scheinen, wäre es unsinnig, gleich anfangs auszusteigen, denn da wäre man ja sowieso noch nicht „hypnotisiert“, und es wäre somit noch kein Kunststück, einfach aufzuhören. Wenn man aber schon einige der Spielchen mitgemacht hat, dann erscheint es einem innerlich irgendwie unpassend (letztlich: peinlich), gerade jetzt auszusteigen, und alle schauen einen überrascht an. Man hat ja alles Vorherige mitgespielt, warum sollte man gerade jetzt aufhören? Das „Jetzt“ unterscheidet sich nicht wesentlich vom „Gerade eben“. Also macht man „noch ein bißchen weiter“ mit. Es ist ja auch ganz interessant. So wird man in kleinen Schrittchen von Trick zu Trick geführt, und ehe man sich versieht, steht man als Huhn auf der Bühne und gackert. Und dann – ruckzuck – ist die Show vorbei, und man hat mitgemacht – wie die anderen auch. Die Salamitaktik teilt die Aufgabe in kleine Häppchen auf. Gegen jedes einzelne Häppchen ist ein Wehren der Mühe nicht wert. Und ehe man sich versieht, hat man die ganze Salami verspeist.

Definition des Kontextes

Ein wichtiger Faktor für das scheinbar so mühelose Gelingen der Showhypnose besteht darin, dass der Bühnenhypnotiseur durch sein Auftreten, seine Worte und die ganze Inszenierung der Show die Rahmenbedingungen und die Bedeutung der Situation definiert. Was das bewirkt, kann man am besten durch einen Vergleich verstehen: einem normalen Menschen würde es ziemlich schwerfallen, mitten in einem schicken Restaurant aufzustehen und sich rhythmisch zuckend zu bewegen. Wenn aber die Räumlichkeiten als „Disco“ definiert sind, dann ist das gar kein Problem. Man befindet sich in einem Rahmen, in dem zuckendes Verhalten in Ordnung ist. Es ist nicht mehr peinlich, sondern entspricht den definierten und allgemein akzeptierten Bedingungen der Situation. Ganz ähnlich ist es überhaupt kein Problem, in einer Sauna unter wildfremden Menschen nackt oder auf einer Faschingsparty albern verkleidet herumzulaufen, was man in einer als „Alltag“ definierten Situation wahrscheinlich niemals täte. Und genau dieser simple sozialpsychologische Mechanismus erleichtert den Showhypnotiseuren ihr Geschäft. Die Situation ist als „Showhypnose“ definiert, und nun macht man jeden Blödsinn mit.

Rollen-Identifikationen

Wenn eine Bühneninszenierung als „Showhypnose“ definiert ist, dann begeben sich die Versuchspersonen in die Rolle des Hypnotisierten. Sie identifizieren sich dann mit der Rolle, die sie zunächst freiwillig eingenommen haben und sind dann nach einer Weile darin gefangen. Wieder ein Vergleich, um das zu verdeutlichen: wenn ein zehnjähriger Schüler die Rolle des Schülerlotsen übernimmt, kann er schlecht, während seine Mitschüler gerade die Straße überqueren, die Kelle wegwerfen und sich an der nächsten Imbißbude eine Cola holen. Er „steckt“ in der Rolle des Schülerlotsen, und die Rolle bestimmt sein Verhalten, auch wenn er im Moment vielleicht lieber etwas anderes tun würde. Ebenso übernehmen die „Opfer“ eines Showhypnotiseurs, wenn sie sich erst einmal bereit erklärt haben, bei der Showhypnose mitzumachen, die Rolle des Hypnotisierten, wobei die Rolle dann ihr Verhalten auch gegen ihren momentanen Willen steuert. Durch die Übernahme einer Rolle, durch die Vermeidung von Peinlichkeit und die aktive, willentliche Bereitschaft können starke psychische Effekte entstehen, die dann von außen wie Resultate der besonderen persönlichen Kraft des Showhypnotiseurs aussehen.

Selbstinduktion

Die Teilnehmer einer Showhypnose-Veranstaltung durchlaufen in ihrer Phantasie schon in den Tagen vor der Show einen unbewussten „Selbstinduktionsprozess“. Sie sind aufgrund ihrer (in der Regel falschen oder übertriebenen) Vorinformationen innerlich mit der „Macht“ der Hypnose beschäftigt, also mit den verbreiteten Mythen, die leider noch immer mit der Hypnose verbunden sind. Sofern sie beabsichtigen, auf die Bühne des Showhypnotiseurs zu gehen, laufen in ihnen halb bewusst innere Filmschleifen ab, in denen sie sich hunderte von Malen selbst als hypnotisiert sehen. Manchmal sind sie dabei mit Abrenzungsversuchen beschäftigt, indem sie versuchen, sich selbst davon zu überzeugen, dass der Hypnotiseur sie nicht „kriegen“ wird. Aber auch das kann bei empfänglichen Personen als Autosuggestion wirken. Bei dem Versuch, sich vorbereitend gegen Hypnose zu immunisieren, wird die „Macht“ des Showhypnotiseurs bereits vorausgesetzt (sonst müsste man sich ja nicht gegen ihn wehren). Durch diese Selbstinduktionsprozesse wird der Showhypnotiseur schon vor der Veranstaltung innerlich zu einer Machtfigur aufgebaut, was sich dann in der Show zu bestätigen scheint.

Tricks

Ein weiterer wichtiger Wirkfaktor besteht darin, dass der Showhypnotiseur Experimente mit den Teilnehmer/innen demonstriert, die für die Zuschauer wie „Wunder der Hypnose“ aussehen, während sie in Wirklichkeit ohne Weiteres auch im Wachzustand durchgeführt werden können. Das „Experiment“ funktioniert auf jeden Fall, auch im Wachzustand. Vor einigen Wochen lernte ich eine junge Frau kennen, die einige Wochen zuvor ebenfalls in Knokes Show gewesen war, und mit der er die „kataleptische Brücke“ demonstiert hatte. Sie sagte, sie sei keineswegs hypnotisiert gewesen. Sie hätte, wenn sie gewollt hätte, jederzeit „aussteigen“ können. Sie habe lediglich sehen wollen, „ob die Sache funktioniert“. Es sei überaus anstrengend gewesen, als Knoke sich auf ihren Bauch gestellt hatte, und sie habe am Tag darauf ordentlich Muskelkater gehabt. Die Rückenmuskulatur selbst zart gebauter Personen ist, auch wenn man das zunächst nicht glauben mag, durchaus in der Lage, das Gewicht einer anderen Person für kurze Zeit zu tragen. Auch über ein Nagelbrett, wie es von Showhypnotiseuren häufig benutzt wird, kann man ohne weiteres gefahrlos im Wachzustand gehen. Die meisten Zuschauer wissen nicht, dass der Abstand der Nägel auf dem Nagelbrett so gering ist, dass man ohne jedes Problem barfuß darüber gehen kann. Und man kann sich auch im Wachzustand ohne Verletzung barfuß auf ein Häuflein Glasserben stellen, wenn man sich dabei nicht schnell seitwärts bewegt. Ich habe das mit den Scherben einer zerschlagenen Mineralwasserflasche ausprobiert. Es ging ohne Probleme. Wenn man aber im Wachzustand aufgefordert würde, über ein Nagelbrett zu gehen, würde man vermutlich zumindest zögern. Da aber die Augen des „Hypnotisierten“ bei der Showhypnose geschlossen sind, und er vom Showhypnotiseur an den Händen über das Nagelbrett geführt wird, fällt dieses vorsichtige Kontrollieren weg. Der „Hypnotisierte“ weiß nicht, wohin bzw. worüber er geht, was dann in der Show so wirkt, als sei das Opfer willenlos bereit, den „Befehlen“ des Showhypnotiseurs zu folgen, über ein scheinbar schreckliches Nagelbrett zu gehen, und sich – oh Wunder – nicht zu verletzen.

Konfusionierende Fragen

Showhypnotiseure erwecken oft durch geschickte, verwirrende Fragen den Eindruck eines hypnotischen Effektes, ohne dass dieser tatsächlich eingetreten sein muss. Nachdem ein Showhypnotiseur, den ich beobachtete, beispielsweise ein junges Mädchen mit geschlossenen Augen an den Händen über ein Nagelbrett geführt hatte, ließ er sie die Augen öffnen und auf das Nagelbrett zurückschauen und fragte sie: „Weißt du, wo du gerade drübergegangen bist?“ Die Versuchsperson war verwirrt. Sie hatte ja nur einen  leichten Druck unter ihren Fußsohlen gespürt. Da sie mit der „Übung“ nicht vertraut war, glaubte sie ganz selbstverständlich, dass sie sich bestimmt verletzen würde, wenn sie über ein Nagelbrett gehen würde (was aber gar nicht stimmt). Was sollte sie nun auf die Frage antworten? Sie konnte nicht glauben, dass sie gerade über ein Nagelbrett gegangen war. Die sichtbare Verwirrung des „Opfers“ auf die Frage des Showhypnotiseurs wirkt aber für die Zuschauer so, als könne sie sich nicht erinnern, über das Nagelbrett gegangen zu sein. Es wird also durch einen sprachlichen Kniff der Eindruck einer Amnesie erweckt, die die Versuchsperson sehr wahrscheinlich gar nicht hatte. Genauer gesagt: der Eindruck der Amnesie entsteht, egal ob sie wirklich eine Gedächtnislücke hat oder nicht.

Bühneneffekt

Für das scheinbar so mühelose Gelingen der showhypnotischen Effekte ist es von Bedeutung, dass sich die Szenerie auf einer Bühne vor Publikum abspielt. Die Versuchspersonen sind in der Regel Menschen, die noch nie auf einer Bühne gestanden haben. Die meisten Opfer haben Lampenfieber, sind unsicher und haben Angst, sich vor den Augen der Öffentlichkeit „daneben zu benehmen“ (oder es sind bekannte „Promis“, die eh jeden Quatsch dümmlich mitmachen oder welche, die auf diese Weise ihren Bekanntheitsgrad steigern wollen). Der Normalbürger hält sich in einer Bühnensituation erst mal schüchtern zurück und wartet auf Anweisungen der Person, die die Situation anscheinend „im Griff hat“. Diese Person ist der Showhypnotiseur. Man weiß nicht, wie man sich als „Hypnotisierter“ auf der Bühne zu verhalten hat. Das Einfachste ist, den Anweisungen des Showhypnotiseurs zu folgen. So rutscht man in die gewünschte Gehorsamsbereitschaft hinein.

Gehorsamsbereitschaft

Spätestens seit den spektakulären Gehorsams- bzw. Gefängnisexperimenten von Milgram und Zimbardo in den 1970er Jahren weiß man, daß man Menschen allein durch die Definition einer Situation als „Experiment“ dazu bringen kann, anderen Menschen scheinbar schweren psychischen oder körperlichen Schaden zuzufügen, ja sie sogar scheinbar zu „töten“. Dies erfordert nur, dass ein mäßig kompetent wirkender Versuchsleiter einfach die Anweisung dazu gibt. Die Bereitschaft, das eigene Kritikbewusstsein auszuschalten und gehorsam zu sein, ist in unserer Psyche und unsere Sozialstruktur tief eingewurzelt. Die Bereitschaft, vor einem Menschen in einer „Leitungsposition“ innerlich gleichsam „die Hacken zusammenzuknallen“ und Anordnungen zu befolgen, darf nicht unterschätzt werden. Diese latente Unterwerfungsbereitschaft aktualisiert sich auch einem Showhypnotiseur gegenüber.

Das Paradoxon der Freiwilligkeit

Einen einfachen Trick benutzen alle Showhypnotiseure. Sie sagen im Laufe ihres Induktions-Sermons in etwa: „Gegen deinen Willen kann ich dich nicht hypnotisieren. Es geht nur, wenn du es willst, wenn du mitmachst.“ Mit diesen Worten nehmen sie dem Widerstand des Opfers den Wind aus den Segeln und versetzen die zu hypnotisierende Person in einen verwirrenden Double-Bind. Es ist eine paradoxe Situation, wenn man in eine Haltung willenloser Folgsamkeitsbereitschaft hineingeführt werden soll, dies aber nur aufgrund von freiwilligem Mitmachen möglich sei. Wie soll das gehen, sich freiwillig willenlos zu machen? Man ist verwirrt und tut der Einfachheit halber, was einem gesagt wird. Man hätte zwar die Möglichkeit, einfach nicht mitzumachen, aber diesen Spaß hat einem der Showhypnotiseur ja schon verleidet: „Wenn du nicht willst, dann geht es eben nicht. Du musst schon wollen, damit es geht.“

Soziale Isolation

In der Showhypnose spielt es eine große Rolle, daß die Teilnehmer/innen der Veranstaltung einander nicht kennen und auf der Bühne (z.B. durch die zu Beginn geschlossenen Augen) kommunikativ isoliert sind. Es fehlt ihnen die Möglichkeit, sich auszutauschen, und somit fehlt ihnen ein Feedback über das Verhalten der anderen. Wenn man mit geschlossenen Augen auf einer Bühne steht, weiß man nicht, wie sich die anderen verhalten und was in dieser Situation“normal“ ist. Es fehlt einem die „Gruppenrückversicherung“ und die „Normalitätsorientierung“. Ein Showhypnotiseur hätte mit Sicherheit große Schwierigkeiten, beispielsweise die Schüler einer Schulklasse zu hypnotisieren. Sie kennen einander und wären auch während der „Induktion“ emotional miteinander in Kontakt. Bei einer Schulklasse hätte er es mit einem sozialen Netz zu tun. Hier wäre die Motivation, dem Showhypnotiseur „eins auszuwischen“ und ihn auszumanövrieren ziemlich hoch. Wenn sich aber einer dieser Schüler isoliert unter fremden Menschen auf der Bühne eines Showhypnotiseurs befindet, dann steht er allein einer „Autoritätsperson“ gegenüber und fühlt sich unsicher. Nach dem alten Prinzip „teile und herrsche“ sind sozial isolierte Einzelne viel leichter beeinflussbar als in einer Gruppe mit ausgeformten kommunikativen Beziehungen und Bezügen.

Hysterie

Auch heute fallen junge Mädels noch manchmal in Ohnmacht oder reißen sich die Kleider vom Leib, um Musik- oder Filmidole (wie z.B. vor einigen Jahren die Gruppe „Tokyo Hotel“) anzuhimmeln. In größerem und brutalerem Maßstab führte diese Dynamik im Berliner Sportpalast dazu, dass viele tausend eigentlich ganz normaler, für eine Polit-Show zusammengetrommelter Deutscher auf die Frage, ob sie „den totalen Krieg“ wollten, ein lautstarkes „Jaaaaaaaa!!!“ jubelten. Irgendwelche Gedanken daran, was das für die Welt, für sie selbst und ihre Familien bedeuten musste, scheinen sie dabei nicht gehabt zu haben. Der Hysterie-Effekt, das Mitgerissensein, spielt auch bei der Showhypnose eine Rolle, insbesondere deswegen, weil unbedarfte Versuchspersonen die Hypnose ja noch immer als okkulte Macht missverstehen.

Übertragung von Elternbildern

Die „Macht“ des Showhypnotiseurs ist psychodynamisch gespeist aus unbewussten Übertragungsprozessen. Die Übertragung kindlicher Gefühle auf eine andere Person tritt nicht nur im Verlauf einer Psychoanalyse dem Analytiker gegenüber auf, sondern in allen Beziehungen, insbesondere in nicht klar definierten Situationen. Wenn man sich unsicher ist, wenn man nicht weiß, was einen erwartet und was von einem erwartet wird, greift man auf alte Beziehungsmuster zurück, die ein Gefühl von Sicherheit und Orientierung geben. Das sind dann oft Elternbilder aus der Kindheit, und, wenn das Gegenüber mit einem Machtanspruch auftritt, Projektionen früher Bildern „allmächtiger Eltern“ („narzißtische Größenvorstellungen„). Der Showhypnotiseur hat Macht, weil die Versuchsperson sie auf ihn projiziert.

Hypnose

Als letzter Faktor sei derjenige genannt, der von den Showhypnotiseuren als der allein verantwortliche für ihre Spielchen ausgegeben wird, nämlich Hypnose. Als ich bei den Showhypnotiseuren auf der Bühne stand, gab es durchaus Momente, in dem ich mich wirklich hätte in Trance sinken lassen können, wenn ich gewollt hätte. Was mich vor allem daran hinderte, waren ihre primitiven, dirigistischen Formulierungen, die mit meinem subjektiven Erleben überhaupt nicht übereinstimmten. Showhypnotiseure sagen beispielsweise regelmäßig etwa: „Deine Schultern sind schwer. Du schläfst.“ Dies traf aber bei mir nicht zu. Meine Schultern waren gar nicht entspannt, und ich war hellwach. An dieser Stelle riss der Rapport zwischen dem Showhypnotiseur und mir. Alles weitere, was er sagte, erreichte mich nicht mehr auf der Trance-Ebene. Ich hörte es mir im Wachzustand an und hätte ihm folgen können oder auch nicht. Wenn ich die ungeschickt formulierten Suggestionen ignoriert hätte und den weiteren Suggestionen gefolgt wäre, dann wäre ich möglicherweise in einen veränderten Bewußtseinszustand gelangt, also hypnotisiert worden. Wenn die Showhypnotiseure am Ende der Show ihre Versuchspersonen auf die bekannte Ruck-Zuck-Weise innerhalb von drei Sekunden reorientieren, sind einige ihrer Opfer deutlich desorientiert. Sie schienen wirklich in einem Trancezustand gewesen zu sein. Da man in vielen Untersuchungen mit tausenden von Versuchspersonen festgestellt hat, dass man mit autoritärer, direktiver Hypnose nur etwa zehn bis dreißig Prozent der Versuchspersonen in tiefere Trance-Zustände bringen kann, kann man davon ausgehen, dass auch bei einer Bühnenhypnose durchschnittlich etwa ein Fünftel der Opfer wirklich hypnotisiert ist. Einige der Inszenierung sind so aufgebaut, dass sie funktionieren, egal ob man hypnotisiert ist oder nicht. Die anderen „Experimente“ macht der Showhypnotiseur nur mit den besonders empfänglichen Versuchspersonen.

Gefahren der Showhypnose

Wer zu einem Showhypnotiseur geht, muss sich darüber bewusst sein, dass er sich bestimmten Gefahren aussetzt, die nicht zu unterschätzen sind:

  • Showhypnotiseure unterliegen keinem therapeutischen Ehrenkodex. Es macht ihnen überhaupt nichts aus, ja sie legen es aus Effektgründen gerade darauf an, ihre Opfer suggestiv zu Handlungen zu bewegen, die diese nachher wahrscheinlich als peinlich oder beschämend empfinden.
  • Bühnenhypnotiseure wecken ihre Opfer in der Regel, um die Blitzartigkeit ihrer Macht zu demonstrieren, mit einem Fingerschnipsen auf und nehmen sich keine Zeit zu einer gründlichen Dehypnotisierung. Die von ihnen hypnotisierten Personen schleppen daher manchmal noch längere Zeit unkontrollierbare Tranceeffekte mit sich herum. Dies kann zu dauerhaften Entfremdungsgefühlen, Ängsten und körperlichen Symptomen führen.
  • Auch Menschen, denen während oder nach einer Bühnenhypnose nichts Schlimmes passiert, erleben es manchmal als beängstigend, dass sie in Hypnose keine Kontrolle mehr über sich hatten. Dies kann bei einer nachfolgenden psychotherapeutischen Behandlung zu Belastungen der Vertrauensbeziehung zum Therapeuten und verstärkten Ängsten vor Ausgeliefertsein führen.
  • Showhypnotiseure wecken in der Öffentlichkeit unrealistische Erwartungen an die therapeutische Hypnose. Die Klienten von Hypnotherapeuten erwarten dann, dass ihr Therapeut ihnen genauso blitzartig hilft, wie sie es bei im Fernsehen gesehen haben. Wenn der Hypnotherapeut versucht, ihnen zu erklären, dass das bei der therapeutischen Hypnose anders funktioniert und vor allem nicht ganz so schnell geht, glauben sie, der Hypnotherapeut wolle nur verschleiern, dass er nicht so gut hypnotisieren könne wie „Don Alfredo“. Solche Vorurteile sind oft selbst durch intensive Aufklärungsarbeit nicht zu bereinigen.
  • Bei der Demonstration der kataleptischen Brücke durch Showhypnotiseure können empfindliche Wirbel und Bandscheiben so stark belastet werden, dass organische Schäden entstehen. Was es für eine Frau, die vielleicht gerade am (evtl. noch nicht sichtbaren) Anfang einer Schwangerschaft ist, bedeutet, wenn ein Showhypnotiseur sich ungefragt auf ihren Bauch stellt, daran will ich gar nicht denken.
  • – Showhypnotiseure mobilisieren manchmal traumatisierte Emotionen in ihren Opfern und können dann mit dem, was dann in ihren Versuchspersonen passiert, nicht umgehen, bzw. kriegen gar nichts davon mitk. Der Showhypnotiseur Pharo, dessen Demonstration zur Eröffnung eines Fitness-Studios ich mir kürzlich ansah, suggerierte beispielsweise einem neunzehnjährigen Mädchen, dass ein anwesendes sechsjähriges Mädchen ihre Mutter sei. Das Problem war nur, dass die reale Mutter des „Opfers“ bei einem dramatischen Verkehrsunfall gestorben war, als die Versuchsperson noch ein Kind war. Das Mädchen hatte den Unfall damals nur knapp überlebt. Das wusste Pharo natürlich nicht. Die angst- und schreckgeweiteten Augen des hypnotisierten Mädchens – faszinierend für das Publikum – wurden als Beweis der absoluten Macht des Hypnotiseurs heftig applaudiert. Für das Opfer war es eine Retraumatisierung. Diese Reaktionen treten oft erst einige Zeit nach der Show auf, wenn der Showhypnotiseur längst in einer anderen Stadt auftritt. Es ist kein Zufall, dass gerade in Israel die Showhypnose gesetzlich verboten wurde. Auch in Schweden ist Showhypnose aus den oben genannten Gründen verboten.

Die beiden größten deutschen Hypnotherapeutengesellschaften M.E.G. und DGH forderten daher auf der 2.Europäischen Hypnose-Konferenz 1995 in München das Verbot der Bühnenhypnose und beschlossen, durch Showhypnose geschädigte Personen rechtlich zu unterstützen.

Nachtrag 6.11.2014:

Gerade komme ich von einer Showhypnose-Darbeitung von Jan Becker, der sich selbst „der sanfte Schädelchirurg“ nennt (was ist denn das für ein irrer Name?). Vor geschätzt 500 Zuschauern im berliner Tempodrom demonstrierte er auf völlig uninspirierte Weise die altbekannten, hundertfach gesehenen Tricks. Er ließ seine Opfer umfallen, am Stuhl festkleben, ihren Vornamen vergessen und so weiter (wie das geht: siehe oben). Wieder bewies der nicht eben attraktive, etwas dickliche Becker seine scheinbare Allmacht über die hübscheste, blondeste Zuschauerin im Saal sowie über eine Reihe ausgesuchter Opfer, mit denen er scheinbar machen konnte, was er wollte. Ich war entsetzt, auf welch primitive Weise Menschen bereit sind, sich manipulieren zu lassen von einem von einem Typen mit einer albernen schrägen Locke, der keinerlei seriöse Ausbildung nachweisen kann und sich absolut nicht um den psychischen Schutz seiner Opfer sowie um ethische Bedenken und Grenzen kümmert. Ich konnte nicht anders, ich musste an aufputschende politische Brandreden aus dunkelster Zeit denken und an die Art, wie Menschen in Sekten und zu angeblich politisch oder religiös motivierten Gewalttaten manipuliert werden. Mir wurde richtig schlecht, als ich gesehen habe, wie leicht es ist, Menschen dazu zu bringen, ihre Selbstkontrolle und ihren kritischen Verstand an der Eingangstür abzugeben. Ich kann solche Darbietungen weder lustig noch faszinierend finden, vielmehr finde ich sie einfach nur öde und abstoßend. Hier wird genau das Gegenteil demonstriert von dem, was ich unter einer humanistisch orientierten Hypnotherapie verstehe.

Hypnose ist kein Spielzeug für machtgeile Bühnenzauberer.
Sie gehört in die Hand gründlich und umfassend ausgebildeter Therapeuten.

Wenn Sie seriöse Hypnose/Hypnotherapie lernen wollen, können Sie sich die Angebote auf meiner Website anschauen.

Werner Eberwein