Wie funktioniert Selbsthypnose bei Krebs?

Selbsthypnose ist eine effektive Methode um das Gesamtbefinden eines Krebspatienten zu verbessern und – unterstützend für bestmögliche medizinische Behandlung – positive psychische Einflüsse auch auf das Krebsgeschehen selbst auszuüben.
Die Lebenszeit-Prävalenz von Krebs ist unverändert hoch: jeder vierte Deutsche erkrankt irgendwann einmal in seinem Leben an Krebs. Krebs ist eine existenzielle Konfrontation, vor allem mit den Themen Liebe und Tod. Für den Krebspatienten, vor allem unmittelbar nachdem ihm sein Befund mitgeteilt wurde, ist die Frage existenziell: Wie kann ich in meinem Herzen ein Gefühl von Liebe für mich selbst, für die Menschen, die mir nahestehen und für mein Leben bewahren, angesichts des unmittelbar drohenden Todes? Was ist der Sinn meines Lebens, angesichts des sicheren Endes? Dieselbe Frage stellt sich auch für die Angehörigen des Krebspatienten: Wie kann ich die Liebe für diesen Menschen bewahren (die er jetzt in diesem Moment so dringend braucht), angesichts der Gefahr, ihn bald zu verlieren?

Liebe und Tod sind Grenzerfahrungen, die das Ich transzendieren. Beide stellen die Frage: Soll ich das Ich festhalten? Soll ich das Ich aufgeben? Sowohl in der Liebe als auch in der Nähe des Todes ist die unabhängige Existenz des Ich bedroht von Auflösung oder zumindest von Verwandlung. Sowohl die Liebe als auch der Tod geschehen unweigerlich. Man hat keine Kontrolle darüber. Man kann die Liebe und den Tod nur annehmen, akzeptieren. Beide können große Angst machen. Man kann sich beiden nur hingeben. Der Kampf gegen den Tod, ebenso wie der Kampf gegen die Liebe, erzeugt oder vermehrt Leiden.

In diesem Zusammenhang macht der viel zitierte Satz von Ivan Turgenjew Sinn: „Die Liebe ist stärker als der Tod“. Die Liebe kann uns zwar nicht vor dem Tod retten, aber sie kann unsere Angst vor ihm mindern.

Krebs ist eine existenzielle Chance. Im Moment der Vermittlung des Krebsbefundes spürt man wie kaum jemals zuvor oder danach die unmittelbare Nähe des drohenden Todes. Das ist schrecklich und traumatisch, aber viele Patienten berichten darüber, dass der Schock langfristig eine Reihe von positiven Folgen für ihr Leben hatte. Insbesondere fördert der Krebsbefund die Wertschätzung für das Gegenwärtige, für das unmittelbare Erleben. Er stellt aufgesetzte Ziele und falsche Werte in Frage und konfrontiert den Krebspatienten damit, wofür es sich wirklich lohnt, weiter zu leben und was und wer ihm wirklich wichtig ist in seinem Leben.

Viele Krebspatienten berichten, dass sie vor ihrer Erkrankung ziemlich unbewusst und überangepasst auf belanglose Ziele oder auf die Befriedigung der Bedürfnisse anderer Menschen hin gelebt haben. Die Krankheit habe sie existenziell wachgerüttelt und mit der Frage konfrontiert, was sie mit der ihnen verbleibende Zeit (solange sie sein mag) anfangen wollen.

Krebs macht bewusst, dass eine emotional erlebbare Sinnerfülltheit die beste psychische Voraussetzung für Gesundheit ist. Natürlich sollte jeder Krebspatient auf der Grundlage gründlicher und kritischer Beratung die bestmögliche schul- und komplementärmedizinische Behandlung erhalten. Darüber hinaus sind regelmäßige körperliche und vor allem geistige Entspannung, ausreichend Bewegung und gesunde Ernährung Faktoren, die der Patient selbst beeinflussen kann, und die ihm helfen können, gut zu leben und gesund zu bleiben.

Carl Simonton (1942-2009), Facharzt für Radiologie und Onkologie, Leiter des Simonton-Cancer-Center in Malibu/Kalifornien, Pionier der Psychoonkologie und Begründer der Visualisierungstechnik beschrieb in seinem 1996 erschienenen Buch „Wieder gesund werden“ Methoden der Imagination mit dem Ziel, das Krebsgeschehen selbsthypnotisch zu beeinflussen.

In der ursprünglichen Form der Simonton-Methode stellt sich der Patient in einem Zustand der Entspannung real oder symbolisch das Krebsgeschehen (z.B. Rezidivierung oder Metastasierung) oder die Behandlungsnebenwirkungen (Chemo-Erschöpfung, Strahlenkater) vor. Dann solle der Patient sich beispielsweise aggressive Tiere vorstellen, die die Krebszellen im Organismus verschlingen, oder einen inneren „Abfluss“, durch den die Zytostatika den Organismus verlassen.

In seiner späteren Praxis kam Simonton von solchen direkten und aggressiven Bilder mehr und mehr ab und hin zu stark individualisierten und Patient-zentriert in Formen der Meditation und Imagination. Ich persönlich ziehe bei Krebs eine indirekte Form von Selbsthypnose vor, bei der auf einen psychischen Zustand fokussiert wird, der einer positiven „Gesundheitsstimmung“ entspricht, also auf reale oder symbolische Vorstellungen eines schönen Lebens, von Freude und Zuversicht. Ich gehe davon aus, dass das, was auf der psychischen Ebene für den Patienten am schwersten zu verarbeiten ist, und die stärkste pathogene Wirkung entfalten kann, der Befund-Schock und die nachfolgende Verzweiflung und Hilflosigkeit Patienten ist. Insbesondere dafür sind Imaginationen hilfreich, die beim Patienten einen Zustand von Kraft, Lebensfreude und Zuversicht fördern können.

Methoden der Selbsthypnose sind also in der Lage, den psychischen Zustand des Patienten positiv zu beeinflussen. Sie können seine Fähigkeit zur Entspannung und zur emotionalen Ausgeglichenheit fördern. Sie können dazu beitragen, tragfähige Beziehung zu stabilisieren und das Gefühl des Patienten für ein sinnerfülltes Leben zu stärken. Darüber hinaus können Selbsthypnosetechniken den Patienten unterstützen, sich gesund zu ernähren und ausreichend zu bewegen. All das hat bereits einen hohen Wert an sich, weil es das Gesamtbefinden des Patienten verbessert und ihm Halt angesichts des Abgrundes gibt, vor dem er steht.

Darüber hinaus sind emotionale Ausgeglichenheit, gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung die relevantesten vom Patienten beeinflussbaren Faktoren, um sein Immunsystem zu harmonisieren, was sich nach den neuesten Erkenntnissen der Psycho-Neuro-Immunologie unmittelbar auf das Krebsgeschehen auswirkt. Krebspatienten brauchen also auf der psychischen Ebene im Grunde dasselbe wie andere Menschen auch: ein gesundes Leben und die Möglichkeit, traumatischer Erfahrungen konstruktiv zu verarbeiten.

Der Ablauf einer Selbsthypnoseübung ist im Prinzip recht einfach. Zunächst ist es wichtig, dass sich der Patient auf eine Weise einrichtet, die ihm angenehm ist und ihm hilft, die Selbsthypnoseübung auf angenehme Weise zu erleben und durchzuführen. Welche Körperhaltung er dabei einnimmt, ist gleichgültig, so lange es ihm bequem ist, er sich warm und behaglich fühlt und die Haltung ihm hilft, für einen für ihn passenden Zeitraum in einen Zustand der Entspannung und Versenkung einzutauchen. Selbsthypnose-Übungen können sehr kurz sein (nur einige Minuten dauern) oder recht lange (eine Stunde oder länger, z.B. mit Selbsthypnose-CDs).

Der einfachste Weg in den Trancezustand hinein ist es, sich zunächst körperlich so gut es geht zu entspannen. Dabei können verbale oder bildhafte Suggestionen hilfreich sein, beispielsweise solche, die dem Autogenen Training entlehnt sind. Über die körperliche Entspannung hinaus ist es wichtig, geistig in einen Zustand der Achtsamkeit und Gelassenheit zu finden, was am einfachsten möglich ist durch die uralte buddhistische Haltung des Gewahrseins beispielsweise für den Atem. Wenn eine leichte Entspannung und Vertiefung erreicht ist (eine tiefe Trance ist nicht erforderlich), beginnt der Übende, sich so intensiv und angenehm wie möglich das vorzustellen, was er anstrebt, also insbesondere emotionale Ausgeglichenheit und körperliche Gesundheit.

Zur Selbsthypnose stehen eine Vielfalt von Techniken zur Verfügung, von denen einige beispielsweise in dem Buch von Brian Alman: „Selbsthypnose“ (Carl Auer 2010), in meinem Buch „Die Kunst der Hypnose“ (Junfermann 2001) oder in meinem Blog www.werners-blog.de beschrieben sind.

Literaturempfehlungen

  • Eberwein, W.: Selbsthypnose-CDs Am See der Heilung, Gelassenheit, Lichtblicke. www.getwellrec.de
  • Eberwein, W./Schütz, G.: Die Kunst der Hypnose. Junfermann 2001
  • Servan-Schreiber, D.: Das Anti Krebs Buch. Kunstmann 2008
  • Reuter, E.: Leben trotz Krebs. Schattauer 2010
  • Simonton, C.: Wieder gesund werden. Rowohlt 1996
  • Alman, B.: Selbsthypnose. Carl Auer 2010

Werner Eberwein