Wie funktioniert Hypnose bei Phobien?

Phobien sind umgrenzte Ängste vor bestimmten Objekten oder Situationen mit klar definierbarem Auslöser. Verbreitete Phobien sind zum Beispiel:

  • Flugangst,
  • Angst vor Konflikten oder vor Reden in der Öffentlichkeit (soziale Phobie),
  • Angst vor weiten Plätzen oder vor Menschengedränge (Agoraphobie),
  • Angst vor engen Räumen (Klaustrophobie),
  • Angst vor Spinnen, Hunden, Pferden, Bienen o.ä. (Tierphobien),
  • Spritzenphobie.

Bei Phobien drängen sich die Angstvorstellungen selbst gegen bessere Einsicht (z.B. in die Harmlosigkeit der Situation oder in die Unproduktivität der Angst) zwanghaft auf und können von dem Betroffenen nicht kontrolliert werden.

Ob es isolierte Phobien tatsächlich gibt, also Menschen, die nur diese eine Phobie und sonst keine ernsthaften psychischen Probleme haben, ist umstritten. In meiner psychotherapeutischen Praxis sehe ich Phobien praktisch immer im Zusammenhang mit weiteren psychischen Schwierigkeiten, in die die Phobie eingebettet ist.

Meines Erachtens ist die Diagnose „isolierte Phobie“ ein Produkt eines diagnostischen Tunnelblicks, der alle anderen Probleme dieser Person ausblendet. Das muss nicht problematisch sein, sofern man sich dessen bewusst ist. Wenn beispielsweise ein Student zwei Wochen vor einer Prüfung steht, und Angst hat, dabei zu versagen, obwohl er sich gründlich vorbereitet hat, macht es durchaus Sinn, ihm fokussiert zu helfen, die Prüfung zu bewältigen, ohne unbedingt weitere Probleme dieses Studenten zu thematisieren. Allerdings wird auch die Behandlung der Prüfungsangst in der Regel nur dann nachhaltig (also langfristig) wirken, wenn die damit in Verbindung stehenden Schwierigkeiten (z.B. Selbstwertprobleme, negative Erfahrung mit Autoritäten, Erlebnisse von Demütigung, Probleme des Selbstbildes usw.) psychotherapeutisch durchgearbeitet werden. Das selbe gilt meiner Meinung nach für alle Phobien.

Es gibt allerdings eine Reihe von Arbeitsweisen der hypnotischen Kurzzeittherapie, die vielversprechend zur unmittelbaren Reduktion phobischer Störungen Erfolg eingesetzt werden können. Gemeinsam haben sie ein verhaltenstherapeutisch geprägtes Verständnis von Phobien als Auslöseprozesse. Man geht davon aus, dass ein Auslösereiz, der an sich harmlos ist oder zumindest eine Angstreaktion in der erlebten Intensität nicht unbedingt nach sich ziehen müsste („Negativ-Anker“) durch vorangegangene Lernprozesse an den Problemzustand (die Angst- bzw. Panikreaktion) gekoppelt wurde und ihn daher auslöst. Die hypnotische Behandlung zielt darauf ab, diese Kopplung aufzulösen.

Bereits die Feststellung, ob es sich überhaupt um eine Phobie handelt, und ob diese kurzzeittherapeutische behandelbar ist, insbesondere aber die Anwendung hypnotherapeutischer Techniken selbst erfordert eine gründliche psychologische und psychotherapeutische Basisausbildung. Wie alle hypnotherapeutischen (und überhaupt psychotherapeutischen) Techniken sollten Sie nicht von Laien ohne gründliche Ausbildung oder ohne Anleitung in Selbsthilfe praktiziert werden.

Ressourcenaktivierung in Trance

Eine relativ einfache Variante einer hypnotischen Entkopplung von Auslösereiz und phobischer Reaktion zielt darauf ab, die Problemsituation (z.B. die anstehende Prüfung) statt mit dem problemauslösenden Negativ-Anker mit einem Positiv-Anker für eine starke Ressource zu verknüpfen. Der Ablauf ist dann ungefähr folgender:

  1. Zu Beginn kann der Hypnotherapeut den Patienten auffordern, seine Angst zu skalieren, d.h., z.B. auf einer Skala von 0 bis 10 einzuschätzen, wie stark seine Angstreaktion ist, wenn er an die Problemsituationen denkt.
  2. Dann leitet der Hypnotherapeut den Patienten in eine hypnotische Trance und suggeriert ihm dann, sich in eine starke Ressourcensituation hinein zu imaginieren, also in eine Situation, in der sich der Patient sehr stabil, kräftig, kompetent und wohl fühlt.
  3. Dieses ressourcenvolle Erleben verstärkt der Hypnotherapeut mithilfe einer Reihe hypnosuggestiver Techniken und ankert es dann an spezifische Auslösereize (bspw. an eine Geste, an Worte, Imaginationen oder Gegenstände). Ein einfacher Ressourcenanker wäre bspw. das Zusammendrücken von zwei Fingern der linken Hand, während der Patient in Trance in die Ressourcen-Situation hinein versetzt ist.
  4. Sodann assoziiert der Hypnotherapeut die Problemsituationen (z.B. Prüfung) mit dem Ressourcen-Anker (z.B. Fingergeste), so dass im Patienten eine neue Kopplung zwischen der Problemsituation und dem Ressourcen-Zustand entsteht.
    (Die Methode basiert auf der Idee, dass eine starke ressourcenvolle Kopplung die problemauslösende Kopplung gleichsam „überschreibt“, ähnlich wie ein neues Programm ein altes auf einer Computer-Festplatte.)
  5. Die neue Kopplung wird durch verschiedene hypnosuggestive Techniken verstärkt und mehrfach wiederholt.
  6. Dann wird der Patient in den Wachzustand reorientiert und aufgefordert, seine Angst nach der Kurzbehandlung hypnotischen erneut zu skalieren. In aller Regel hat seine Angstlevel durch die kurze hypnotische Behandlung zumindest in gewissem Umfang abgenommen. Der ganze Vorgang kann gegebenenfalls mehrfach wiederholt werden.

„Ramponieren“ von Problem-Ankern

Eine komplexe hypnotherapeutische Strategie zur Bearbeitung von Phobien ist die Arbeit mit Mehrfachdissoziationen und Submodalitätsveränderungen zum „Ramponieren“ von Problemankern. Diese Methode wurde von Richard Bandler und John Grinder, den Begründern des NLP, in den 1970er Jahren aus bestimmten Arbeitsformen des Hypnotherapeuten Milton Erickson heraus entwickelt. Sie läuft im Prinzip folgendermaßen ab:

  1. Zu Beginn leitet der Hypnotherapeut den Patienten in eine Trance und orientiert ihn dort in eine Kinoszenerie hinein: der Patient soll sich in Trance vorstellen, er säße in einem leeren Kino in der mittleren Reihe in der Mitte der Reihe (= 1. Dissoziation). Vorne, auf der Kinoleinwand, sei zunächst nur die weiße Leinwand zu sehen.
  2. Sodann leitet der Hypnotherapeuten den Patienten in Trance an, sich in der Kinoszenerie von den hinteren Stuhlreihen aus selbst in der Mitte des Kinos sitzen zu sehen (= 2. Dissoziation).
  3. Dann leitet der Hypnotherapeut den Patienten an, sich in den Projektionsraum des Kinos zu orientieren (3. Dissoziation) und von dort aus sich selbst in der hinteren Reihe des Kinos dabei zuzusehen, wie er sich in der Mitte des Kinos sitzend auf der Leinwand ein Schwarzweiß-Dia von einem Zeitpunkt VOR Beginn der Problemsituation anschaut. – Dies ist eine hochkomplexe Instruktionen, die mehrfache hypnotische Dissoziationen mit mehrfachen Submodalitäten-Veränderungen der Repräsentation der Problemsituation verbindet (aus der Angstsituation wird ein Film, dann ein Dia, dann ein Schwarzweiß-Dia). Durch die Mehrfach-Dissoziationen und die Submodalitäten-Änderungen wird die geistige Repräsentation der Problemsituation bereits abgeschwächt.
  4. Dann leitet der Hypnotherapeut den Patienten an, den Problemfilm mehrfach schnell in Schwarzweiß rückwärts ablaufen zu lassen (= „Ramponieren“ der Problem-Ankers) …
  5. … und dann in den Endpunkt des Problemfilmes in Farbe „hineinzuspringen“, also in den Moment, in dem die ehemalige Problemsituationen bereits vergangen ist.

Auch diese Technik kann mit einer Angst-Skalierung verbunden werden, was in aller Regel zu einer deutlichen Reduktion des subjektiven Angsterlebens führt.

Besonders mit letzterer Technik können Phobien mitunter relativ schnell in ihrer Intensität reduziert oder sogar (in der Regel nur vorübergehend) völlig beseitigt werden. Aufgrund ihrer hohen Komplexität muss die Methode gründlich erlernt und vielfach eingeübt werden. Meines Erachtens macht sie nur Sinn im Rahmen einer längerfristigen psychotherapeutischen Beziehung, die es dem Patienten ermöglicht, seine phobische Angst im Zusammenhang seiner Lebensgeschichte, seiner Persönlichkeit und seiner aktuellen sozialen Situation zu verstehen und durchzuarbeiten.

Werner Eberwein