Was versteht man unter der psychischen Struktur?

Die psychische Struktur ist kein materielles und auch kein neurologisches Objekt bzw. Substrat. Sie besteht vielmehr aus spezifischen Fähigkeiten, die zur  Regulation von Zuständen, Gefühlen und Beziehungen dienen.

Gemeint sind z.B. die Fähigkeit

  • sich selbst über die Zeit hinweg als identische Person wahrnehmen können,
  • sich selbst, andere Menschen und die Außenwelt voneinander differenzieren können,
  • innerseelische Prozesse differenziert wahrnehmen und verbal kommunizieren können,
  • verschiedene Emotionen auseinanderhalten und differenziert benennen können,
  • sich selbst als Urheber von Handlungen und Willensentscheidungen empfinden können,
  • emotionale Belastungen aushalten können,
  • Gefühle und Erregungszustände regulieren können,
  • sich selbst beruhigen können,
  • sich von unerträglichen Situatione, Reizen, Emotionen oder Zuständen distanzieren können,
  • sich selbst als lebendig wahrnehmen können,
  • aktiv Kontakt aufzunehmen können,
  • spüren können, wenn einem etwas nicht gut tut,
  • deutlich machen können, wenn man etwas will oder nicht will,
  • sich selbst emotional verstehen können,
  • andere Menschen emotional verstehen und sich in sie hineinversetzen können,
  • die Gefühle, Bedürfnisse und Sichtweisen anderer Personen auch dann anerkennen können, wenn sie sich vom eigenen Empfinden unterscheiden,
  • sich selbst aus einer Außenperspektive reflektieren können,
  • Widersprüche zwischen dem Selbstbild und der Wahrnehmung durch andere aushalten können,
  • das Selbstwertgefühl unabhängig von aktueller Zu- oder Abwendung stabil halten können,
  • zu anderen Menschen in emotionalen Kontakt treten können,
  • sich auf eine Bindungen einlassen können,
  • destruktive oder überlebte Bindungen lösen können,
  • eine Bindung auch dann aufrecht erhalten können, wenn die andere Person vorübergehend nicht anwesend ist,
  • sich an Vereinbarungen, Regeln und Grenzen halten können, um Bindungen stabil zu halten,
  • sein Handeln kontrollierend steuern können,
  • sich abwägend zwischen Alternativen entscheiden können.

Eine stabile psychische Struktur befähigt einen Menschen, seine eigene Identität (wer bin ich? was will ich?) zu definieren und auch unter Belastung aufrecht zu erhalten und sich klar und flexibel v.a. von Vorgaben anderer Menschen abzugrenzen (wer bin ich nicht? was will ich nicht?).

Psychische Struktur, Selbstgrenze und Identität bilden eine funktionelle Einheit:

  • Eine Mensch mit einer stabilen, flexiblen und funktionsfähigen psychischen Struktur hat klare und flexible Selbstgrenzen und ein integriertes Selbst.
  • Das Gegenteil wäre ein Mensch mit einer psychotisch zerfallenden Selbststruktur und aufgelösten Grenzen, was gleichzeitig in der Regel mit einer (autistischen) Unzugänglichkeit einhergeht.
  • Menschen mit einer Strukturstörung (Persönlichkeitsstörung) haben eine labile, bruchstückhafte oder leicht destabilisierbare psychische Struktur mit schwach abgegrenzten (diffusen) und überstark abgegrenzten (gepanzerten) Bereichen, was emotional zu einer Spaltung in abgestumpfte und dauerhaft alarmierte Bereiche führt.

Werner Eberwein