Was versteht man unter der Ko-Konstruktion einer therapeutischen Beziehung?

Der Interaktionsprozess der Patient-Therapeut-Beziehung wird von beiden Beteiligten gemeinsam ko-konstruiert. Es kann nicht exakt unterschieden werden, was darin durch die bewussten Handlungen oder unbewussten Motivationen des Patienten oder die des Therapeuten erzeugt oder bestimmt ist. Es handelt sich um ein gemeinsam gestaltetes und sich selbst gestaltendes Kommunikationsfeld.

Der Begriff Kommunikationsfeld meint ein interpersonales, interaktives System, das aus den aufeinander bezogenen (bewussten und unbewussten, willentlichen und unwillkürlichen, verbalen und nonverbalen) Handlungen mehrerer Personen besteht die miteinander eine eigene, nicht kausal erfassbare Entwicklungsdynamik (eine Dialektik) entfalten. Die Ursprünge der psychologischen Feldtheorie gehen auf die Gestalttheorie zurück (vgl. Köhler 1920, Lewin 2012).

Die Interaktion zwischen Patient und Therapeut pendelt zwischen emotionaler Abgestimmtheit und unvermeidlichen Fehlabstimmungen bzw. Abstimmungsbrüchen. Das Erkennen und die Bearbeitung von Empathiebrüchen ist ein wichtiger Aspekt des psychotherapeutischen Prozesses (Stern 2010, 2012).

Beispiel: Einem Patienten macht es zu schaffen, dass ein enger Geschäftspartner, der zugleich ein guter Freund von ihm war, sich sowohl auf der persönlichen als auch auf der geschäftlichen Ebene von ihm abgewandt hat und ihm nun mit Ablehnung und Feindseligkeit begegnet. In einem Wasserfall aus Worten stellt der Patient sich selbst als „immer fair und rücksichtsvoll“, seinen ehemaligen Partner dagegen als „hinterhältig und rücksichtslos“ dar. Für den Therapeuten ist die wütende Erregung des Patienten schwer auszuhalten. Er versucht, den Patienten dazu zu bringen, sich seine eigenen Anteile an dem Konflikt anzuschauen. Dieser wird immer wütender und fühlt sich unverstanden, als ob ihm die alleinige Schuld an dem Konflikt zugeschoben würde.

In einer Supervisionssitzung entdeckt der Therapeut Parallelen zu einer Situation, die er selbst einmal erlebt hat, und die ihn immer noch belastet. Als er in der nächsten Sitzung dem Patienten mitteilt, dass er durch eine eigene Betroffenheit im Verständnis blockiert war, und er sich nun dem Erleben des Patienten empathisch zuwenden kann, beruhigt sich der Patient sofort und spricht mit großer Trauer darüber, wie sehr er die Vertrautheit mit seinem ehemaligen Freund und Geschäftspartner vermisst.

In der humanistischen Psychotherapie bewegt sich der therapeutische Prozess aus der inneren Dynamik des therapeutischen Interaktionsfeldes heraus:

  • Der Therapeut bringt in diesen Prozess sein fachliches Wissen, seine technischen und selbstreflexiven Fähigkeiten und seine persönlichen Lebenserfahrungen ein.
  • Der Patient bringt seine Transformationsmotivationen, seine kreative Intuition und seine eigenen Lebenserfahrungen in den Prozess ein.

Werner Eberwein