Was sind Persönlichkeitsstörungen?

Persönlichkeitsstörungen (oder Strukturstörungen) sind Formen von psychischem Leid, die sich hauptsächlich im emotionalen und zwischenmenschlichen Bereich zeigen, vor allem in nahen und insbesondere in intimen Beziehungen. Sie sind durch Beziehungsverzerrungen in der Kindheit entstanden und können therapeutisch nur im Laufe der Etablierung und langfristigen Aufrechterhaltung tragender Beziehungen geheilt werden.

Persönlichkeitsstörungen sind oft komplex und widersprüchlich. Sie zeigen sich oft erst nach einiger Zeit, und vor allem dann, wenn eine Beziehung tiefer wird. Sie werden daher von den betreffenden selbst, aber auch von Psychotherapeuten und Ärzten oft nicht oder erst sehr spät erkannt.

Kennzeichen

Menschen mit Persönlichkeitsstörungen

  • leiden oft unter einer Instabilität ihrer psychischen Struktur und einer unsäglichen Angst vor dem Verlust ihrer psychischen Integrität (Fragmentierungsangst),
  • haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle und ihre Beziehungen zu regulieren,
  • haben oft Schwierigkeiten, sich selbst zu beruhigen, neigen zu Zuständen von Übererregtheit und zu Gefühlsüberflutungen,
  • fühlen sich manchmal wie erstarrt, gefühllos, taub und emotionale reaktionsunfähig,
  • neigen zu einem abrupten Wechsel zwischen extremen moralischen Standpunkten oder zu einer bruchstückhaften, wenig integrierten Wertvorstellungen,
  • manchmal haben sie einen schwer zu kontrollierenden Hass auf andere oder auf sich selbst,
  • ihr „inneres Kind“ hofft oft auf naive Weise auf höhere Gerechtigkeit und ist enttäuscht, wenn sie nicht eintritt,
  • sie sind kaum und im Konflikt gar nicht mehr in der Lage, sich selbst zu reflektieren und neigen dazu, ihre eigenen Standpunkte und Sichtweisen für unbestreitbare Realität zu halten (sie leben in einer „monadischen“ Realität),
  • fühlen sich oft isoliert, unverstanden und von anderen drangsaliert,
  • haben große Schwierigkeiten, sich abzugrenzen oder angemessener Abgrenzung in anderer Personen zu ertragen,
  • kippen in schnellem Wechsel zwischen verschiedenen Rollen und Identitäten hin und her, sind also „schwer zu fassen“,
  • haben übergroße Ängste vor Verletzungen und ziehen sich als Selbstschutz oft zurück,
  • fühlen oder verhalten sich oft wie ein Kind (akute Regression), wobei ihnen dann Fähigkeiten zur Bewältigung aktueller Schwierigkeiten fehlen,
  • finden sich oft immer wieder in Situationen, die ihnen nicht gut tun, ohne zu verstehen, wie sie sich dort hinein manövriert haben.

Entstehung

Persönlichkeitsstörungen entstehenden durch

  • Traumata: einmalige oder fortgesetzte Einbrüche von körperlicher oder psychischer Gewalt in eine vorher relativ stabile gewesene psychische Struktur,
  • Beziehungsstörungen: langfristige, verzerrende Beziehungsverwicklungen, vor allem in der Kindheit mit den primären Bezugspersonen.

Traumata und Beziehungsstörungen destabilisieren die psychische Struktur durch

  • Deprivation: anhaltende Frustration primärer Bedürfnisse,
  • Invasion: bedrohliches Eindringen in die Selbstgrenze,
  • Restriktionen: Einengung durch überautoritäre Vorgaben,
  • Konfusion: Verwirrung durch massiv wechselhafte oder zwiespältige Beziehungsangebote.

Komplikationen im zwischenmenschlichen Bereich

Der Umgang mit Menschen mit Persönlichkeitsstörungen ist besonders deswegen schwierig, weil sie ihre gespaltenen bzw. abgespaltenen Persönlichkeitsanteile nicht nur in andere Menschen hinein projizieren (was schon schwierig genug wäre), sondern unbewusst (vor allem auf dem Wege der subtilen, nonverbalen Kommunikation) Eigenschaften, die sie an sich oder an anderen nicht ertragen können, in anderen Personen real hervorrufen, diese Anteile also quasi im anderen unterbringen („Deponieren„).

  • Viele Borderline-Patienten haben beispielsweise massive Grenzüberschreitungen in ihrer Kindheit erlebt. Sie neigen in der Folge selbst zu grenzüberschreitendem Verhalten und dazu, die Neigung zur Grenzüberschreitung in andere Menschen (z.B. Lebenspartner, Therapeuten) hinein zu projizieren, diese Tendenzen aber auch real im Gegenüber hervorzurufen.
  • Ebenso neigen bspw. narzisstische Patienten dazu, Größenvorstellungen im Wechsel mit Entwertungen zu projizieren, aber solche Gefühle und Zustände im Gegenüber auch hervorzurufen.

Dieser Prozess, der von Analytikern als „projektive Identifizierung“ bezeichnet wird, erfordert ein spezielles therapeutisches Training um die unweigerlich entstehenden Interaktionsverwicklungen mit diesen Patienten angemessen handhaben zu können.

Diagnostische Einordnung

im ICD10 werden Persönlichkeiten unter F60.- in folgende Cluster eingeordnet:

  • Cluster A – sonderbar, exzentrisch – paranoide und schizoide Persönlichkeitsstörung,
  • Cluster B – dramatisch, emotional – emotional instabile (Borderline, impulsive), histrionische und dissoziale Persönlichkeitsstörung,
  • Cluster C – ängstlich, vermeidend – ängstliche, Abhängige, anankastische (zwanghafte) und passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung.

Werner Eberwein