Was können streitende Paare tun, um einander wieder näher zu kommen?

Diese Frage ist so alt wie die Welt. Sie hat schon die alten Griechen und Ägypter beschäftigt. Es gibt hier keine einfachen Rezepte, die, wenn man sie befolgt, mit Sicherheit zu einem guten Erfolg führen werden. Aber einige Hinweise sind vielleicht hilfreich.

Das folgende nenne ich „die zehn Beziehungs-Grundgesetze“:

  1. Du kannst sie/ihn nicht ändern.
    Sich selbst zu verändern, wenn man das mit aller Kraft möchte, und wenn man die bestmögliche soziale und/oder therapeutische Unterstützung dabei hat, ist sehr schwer, dauert lange und geht meistens nur durch vielerlei Verirrungen und Rückfälle hindurch. Einen anderen Menschen ohne oder gegen seinen Willen zu ändern ist unmöglich, es sei denn, man wendet Formen von Gewalt an (Druck, Erpressung, Manipulation), aber die fallen früher oder später auf einen selbst zurück.
  2. Rede von Dir.
    Es macht wenig Sinn, den anderen im Konflikt unablässig auf seine vermeintlichen Fehler hinzuweisen in der Hoffnung, dass er sie einsehen und sich dann ändern möge. Das führt nur zu einem unproduktiven Schlagabtausch. Erst wenn jeder wirklich von sich redet, sich also dem anderen wirklich öffnet, oder wenn zumindest einer von beiden damit anfängt, ist eine Chance vorhanden, einander zu verstehen und einander wieder näher zu kommen. Ein schwieriger Fallstrick dabei ist das projektive Sprechen, das mit „Ich fühle mich …“ anfängt und dann mit Anschuldigungen weitergeht, z.B.: „Ich fühle mich von Dir nicht gesehen.“ Hier spricht jemand nur scheinbar von sich, in Wirklichkeit klagt er den anderen an.
  3. Rede von Dir.
    Der selbe Satz nochmal, speziell für die Männer, mit der Betonung auf „rede“. Für viele traditionell aufgewachsene Männer ist das Reden über Gefühle noch immer ein Zeichen von Schwäche und ein Bereich, in dem sie sich (in der Regel zu Recht) nicht wirklich kompetent fühlen. Daher versuchen sie Streit zu vermeiden, indem sie nicht viel von sich preisgeben und ihrer Partnerin „gute Ratschläge“ aus der Beziehungs-Werkzeugkiste geben. Das mag kurzfristig dämpfend auf den Konflikt wirken, heizt ihn aber langfristig eher an.
  4. Sag auch, was gut ist.
    Jede Kritik, jede Infragestellung des Partners ist für diesen eine Kränkung, die ihm weh tut, vor allem weil sie von dem Menschen kommt, den er liebt, und den er im Grunde glücklich machen möchte. Daher ist es entscheidend wichtig, auch im Konflikt, mindestens aber danach, die positiven Gefühle auszudrücken, die ja immer auch da sind, sonst wäre man nicht zusammen. Und die sind keineswegs selbstverständlich. Das und nur das kann die durch den Streit entstandenen Wunden wieder heilen.
  5. Jeder hat ihre/seine eigene Wirklichkeit.
    Es macht wenig Sinn, in einem Beziehungskonflikt zu versuchen, festzustellen, was „wirklich“ stimmt und den anderen davon überzeugen zu wollen. Der andere erlebt möglicherweise die selbe Situation teilweise oder auch ganz anders. Man kann sich mit dem Partner über dieses unterschiedliche Erleben austauschen, und das erweitert das Erlebensspektrum erheblich, was ja gerade das gegenseitig befruchtende an einer Beziehung ist, aber die Unterschiede bleiben bestehen.
  6. Unter Stress werden die Schatten aktiviert.
    Wenn ein Mensch aufgebracht ist, laufen Stresshormone in seinem Gehirn über, und er weiß zeitweise nicht mehr, was er sagt. Er „wird zum Tier“. Dieses Tier ist der wilde, primitive Teil seiner selbst, quasi der innere Urmensch, der das Problem am liebsten gleich mit der Keule lösen möchte. Es macht wenig Sinn, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, das in diesem Zustand aus dem Partner (oder aus einem selbst) herausplatzt.
  7. Wut ist eine ungelenke Art, Bedürfnisse auszudrücken.
    Wut ist ein notdürftiger Versuch, sich großen inneren Schmerz vom Leib zu schaffen. (Aggressiver Rückzug ist die Defensive Variante davon.) Was weh tut, ist, dass ein wichtiges Beziehungsbedürfnis nicht erfüllt wird. Der wütende Partner braucht etwas ganz dringend vom anderen, und er ist wütend, weil er das nicht kriegt. Wut ist enttäuschte Liebe. Sie führt aber beim anderen in der Regel entweder zu Rückzug oder zu Gegen-Aggression, also zu genau dem Gegenteil von dem, was man eigentlich will. Wenn man „unter“ der Wut (der eigenen oder der des anderen) die enttäuschte Liebe und Bedürftigkeit zu spüren vermag, ist man einen entscheidenden Schritt weiter.
  8. Mache deine Gürtellinie deutlich.
    Es ist wichtig, dass jeder Partner weiß, an welcher Stelle bei dem anderen „Schluss“ wäre bzw. was der andere unverzichtbar braucht, um die Beziehung führen zu können. Gemeint sind hier wirklich gravierende Dinge, die den endgültigen Bruch der Beziehung bedeuten würden. Es ist besser, das vorher klar zu sagen, sich aber strikt auf die wirklichen „Gürtellinien“ zu beschränken.
  9. Was du nicht verstehst, kommt aus der Kindheit.
    Manches am Partner versteht man im Hier-und-Jetzt nicht, so sehr man sich auch bemühen mag. Es kommt vielleicht gar nicht aus der aktuellen Situation, sondern aus kindlichen Erfahrungen, die manchmal bis in die frühe Babyzeit zurück reichen. Wenn man das Verhalten des Partners vor diesem Hintergrund betrachtet, ist es manchmal sehr wohl zu verstehen, und dann sieht man es mit ganz anderen Augen.
  10. Liebe ist die Antwort auf alles.
    Das klingt romantisch, ist es ja auch. Aber es ist ganz wichtig, sich immer wieder darauf zu besinnen, was man im tiefsten Inneren für den anderen empfindet, unter den Konflikten. Dort findet man in der Regel tiefe Liebe und zarte Verbundenheit. Der Streit kommt daher, dass man denkt, die Liebe für den anderen hätte keinen Raum. Darum ist es so wichtig, sich immer wieder darauf zu besinnen, was man tief drinnen wirklich fühlt für den anderen und was man eigentlich will mit ihm.

Die wichtigsten Schritte auf dem Weg wieder zueinander sind: Respekt, Toleranz und wirkliches Gespräch. Michael Lukas Möller hat in seinen Büchern  sehr anrührend Paar-Zwiegespräche dargestellt: das Paar setzt sich regelmäßig zusammen, jeder von beiden teilt sich dem anderen mit, und der andere hört zu. Das kann eine tief bewegende Erfahrung sein. Wie sollen sich die Partner sonst verstehen? Möller hat es so formuliert:

„Ich bin nicht Du, und ich weiß Dich nicht.“

Wenn man will, dass der Partner einen versteht, dann muss man sich ihm mitteilen. Wenn man wissen will, was in ihm vorgeht, muss man ihm zuhören. Das ist oft tief berührend und zeitweise anstrengend, aber der Gewinn ist eine tiefe, tragfähige Beziehung.

Werner Eberwein