Was kann ein Krebspatient tun, um psychische Gesundheitsfaktoren zu fördern?

In der Zeit nach dem Primär- oder Rezidivbefund sowie während oder nach der medizinischen Behandlung befinden sich die meisten Krebspatienten offensichtlich oder unterschwellig in einer bedrückten bis panischen „Krankheitsstimmung“, in der sie ihre Situation als überaus düster erleben und wenig Kontakt zu ihren heilungsfördernden Ressourcen finden können. Die Krankheitsstimmung des Patienten wird gefördert durch eine Reihe von psychogenen Krankheitsfaktoren:

  1. prämorbide (schon vor der Erkrankung vorhandene) psychische Belastungen (z.B. familiäre, am Arbeitsplatz, Traumata, psychische Probleme usw.),
  2. das Befund-Trauma,
  3. die nachfolgende Krebs-Panik,
  4. panische Über- oder Rückzugsreaktionen im sozialen Umfeld,
  5. Selbstwert-Beeinträchtigungen („Wer bin ich noch, wenn …“),
  6. jatrogene (von Ärzten und Behandlungspersonen unabsichtlich erzeugte) Negativsuggestionen und negative direkte oder unterschwellige Botschaften,
  7. psychische Behandlungs-Nebenwirkungen (z.B. die Schwächegefühle nach der Chemotherapie),
  8. das Herausfallen aus Halt gebenden Lebensbezügen, vor allem aus Arbeitszusammenhängen und damit verbundenen sozialen Einbindungen,
  9. das Hadern mit dem Schicksal als Folge von unverarbeiteter Konfrontation mit einem absurden Schicksal („Warum gerade ich …? ich habe doch immer …“).

Zur Förderung von Selbstheilungsprozessen und zur Rezidiv-Vorbeugung ist es förderlich, die Krankheitsstimmung des Patienten mit Hilfe selbsthypnotischer und imaginativer Methoden umzuwandeln in eine Gesundheitsstimmung, in der der Patient sich als zuversichtlich erlebt und mit seinen Heilungsressourcen in gutem Kontakt ist.

Hierbei sind bestimmte psychogene Gesundheitsfaktoren wichtig, die durch psychische Interventionen und ganz besonders durch Selbsthypnose und Vorstellungsarbeit gefördert werden können:

  1. die Krankheit als Herausforderung betrachten, d.h. nicht in Panik, Resignation oder Verzweiflung stecken zu bleiben, sondern diese mit professioneller und autogener Hilfe zu verarbeiten, um die Eigenverantwortung für den weiteren Verlauf der Erkrankung zu erkennen und nach Möglichkeiten aktiver Bewältigung zu suchen. Es ist wenig förderlich, wenn sich der Patient dauerhaft mit Fragen wie „Warum ich?“ quält. Viel hilfreicher ist es, sich zukunftsorientiert Gedanken über seinen persönlichen Heilungsweg zu machen: „Was kann ich tun? Wie will ich leben?“
  2. die Krankheit entmystifizieren, d.h. sich von Schreckensbildern im Zusammenhang mit Krebserkrankungen allmählich zu lösen und diese als zwar ernstzunehmende und auch bedrohliche, aber dennoch prinzipiell heilbar oder zumindest in Würde bewältigbar zu betrachten,
  3. die Krankheit akzeptieren, d.h. sich selbst als Erkrankten sowie die Folgen der Erkrankung und/oder der notwendigen Behandlungen anzuerkennen, sich also als zwar beeinträchtigt, aber dennoch vital und lebensfroh zu erleben,
  4. im Alltag Dysstress vermindern, d.h. zwar durchaus im Rahmen der individuellen Möglichkeiten aktiv und engagiert zu sein, aber belastende, Kraft raubende Formen von Stress soweit wie möglich zu vermindern und aktiv Entspannungsmethoden zu üben,
  5. Zuversicht für die Zukunft wieder finden, also Pläne machen und sich Dinge vorzunehmen, auf die man sich freuen kann,
  6. auf die eigenen Selbstheilungskräfte vertrauen, was realistisch ist, weil diese grundsätzlich in der Lage sind, die Krebserkrankung in Schach zu halten oder gar zu besiegen,
  7. sich gesundes Leben aktiv vorstellen, also in aktiver Imagination sich selbst real oder symbolisch als gesunden, vitalen Menschen rituell, das heißt regelmäßig imaginieren,
  8. ein kooperatives Verhältnis zu den Behandlern entwickeln, d.h. weder in ehrfürchtiger Erstarrung vor den „Halbgöttern in weiß“ verharren, noch diese wegen ihrer Grenzen oder wegen der Begrenztheit der heute zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten anzuklagen, sondern sich als gleichberechtigter Dialogpartner definieren, der gemeinsam mit einem Team von nach Kräften bemühten Behandlern über die weitere Behandlung und Selbstbehandlung entscheidet und daran aktiv teilnimmt,
  9. das eigene Selbstbild und die eigene Identität überdenken („Wer bin ich?“), d.h. in sich zu gehen und sich immer wieder zu prüfen: Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Muss ich wirklich ständig an meiner Leistungsgrenze oder darüber hinaus arbeiten? Muss ich mich wirklich so viel um andere kümmern? Brauche ich wirklich ein neues Auto? Bin ich liebenswert/attraktiv auch mit dieser oder jener körperlicher Beeinträchtigung?
  10. die eigenen Lebensperspektiven überdenken („Wo will ich hin?“), d.h. gründlich über existenzielle Neuorientierungen nachdenken: Aus dem Arbeitsleben aussteigen? Weniger arbeiten? Den Job wechseln? Umziehen? Eine Weltreise machen? Meditieren lernen?
  11. sich an persönlichem Sinn und Werten orientieren („Wofür lebe ich?“), d.h. in seinem Leben Möglichkeiten der Ankopplung an etwas Größeres zu finden, was dem Leben Sinn verleiht und eine Orientierung an persönlichen Werten ermöglicht – das könnten zum Beispiel weltanschauliche, politische, religiöse, spirituelle, familiäre oder andere Sinn gebende Orientierungen sein.

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Werner Eberwein