Was ist Spaltung?

Als Spaltung wird in den psychodynamischen Richtungen der Psychotherapie ein grundlegender Abwehrmechanismus bezeichnet.

Der Begriff der Spaltung wird besonders von den Anhängern der Objektbeziehungstheorie (z.B. Melanie Klein, Otto Kernberg) und der Selbstpsychologie (Heinz Kohut und seine Nachfolger) verwandt und zur Erklärung von Persönlichkeits-/Strukturstörungen verwandt.

Man geht davon aus, dass es in den ersten Lebensmonaten des Menschen einen noch unreifen psychischen Zustand gibt, in dem die innere Vorstellung (Repräsentanz) des eigenen Selbst und die der äußeren Welt noch nicht klar unterschieden sind („symbiotische Phase„). Wenn der Säugling in diesem Stadium gravierende frustrierende Erfahrungen mit einer primären Bezugspersonen macht, so wird sein Wahrnehmungsfeld gespalten in einen „nur guten“ (befriedigenden) und einen „nur bösen“ (frustrierenden) Anteile.

Beide Anteile beinhalten dabei Aspekte des eigenen Selbst, der Bezugspersonen und der Beziehung zwischen der Bezugspersonen und dem Säugling, sowie bewusste und unbewusste Anteile. Wir sprechen daher auch von einer „vertikalen Dissoziation“ der Psyche (im Gegensatz zur Verdrängung, die als „horizontale Dissoziation“ bezeichnet wird).

Durch die Spaltung wird der „nur gute“ Anteil von dem „nur Bösen“ Anteil geschützt, fühlt sich aber von diesem auch bedroht und verfolgt. Auch das eigene Selbst wird einerseits als „nur gut“, andererseits als „nur böse“ erlebt, wodurch das Selbstbild zwischen verfolgtem Opfer und erbarmungslosen Aggressor, bzw. zwischen Großartigkeit und Entwertung oszilliert.

Im Bereich von Spaltungen können Ambivalenzspannungen oder Zwischentöne nicht gleichzeitig wahrgenommen bzw. nicht ertragen werden, was zu einem abrupten Hin-und-her-Kippen zwischen beiden sowie zu vielfältigen Projektions- und in Introjektionsprozessen führt.

Nur wenn ein Kind durch konstante und zuverlässige, gleichzeitig angemessen abgegrenzte Zuwendung seitens der primären Bezugspersonen ambivalente Beziehungsaspekte integrieren kann, entwickeln sind klar unterschiedene (individualisierte) Repräsentanzen vom eigenen Selbst und vom anderen, die auch Ambivalenzen und Zwischentöne beinhalten.

Wenn dieser „Individuationsprozess“ z.B. aufgrund eines übergriffigen, unberechenbaren, ablehnenden, unempathischen, kränkbaren oder ungeduldigen Verhaltens der primären Bezugspersonen gestört wird, bleibt die Spaltungstendenz aufrechterhalten, was die zentrale Ursache für die Entstehung späterer Persönlichkeitsstörungen ist.

Obwohl die beschriebene Theorie der Entstehung von Spaltungsneigungen v.a. durch die Ergebnisse der modernen Säuglingsforschung umstritten ist, können psychische Spaltungsvorgänge bei Menschen mit Strukturstörungen vielfach beobachtet werden.

Werner Eberwein