Was ist Neid?

Neid ist ein unangenehmes Gefühl der Kränkung wegen einer realen oder vermeintlichen ungerechten Benachteiligung. Es entspringt der das Selbstwertgefühl herabsetzenden Erkenntnis, im Vergleich mit einer anderen Person ohnmächtig unterlegen zu sein.

  • Als „konstruktiver“ Neid wird der Wunsch betrachtet, selbst etwas zu haben, was die beneidete Person hat oder zu haben scheint. Dies kann mit einem Gefühl der Aggressionen, aber auch ganz liebevoll geschehen (zum Beispiel wenn Großeltern ihre geliebten Enkel z.B. um ihre Jugend, Gesundheit oder Unbeschwertheit beneiden).
  • Als „destruktiver“ Neid wird der Wunsch bezeichnet, die beneidete Person möge verlieren, was sie hat, oder der Impuls, der beneideten Person ihren (vermeintlichen oder realen) Besitz wegzunehmen oder zu verderben ( = „Missgunst“).

Der Begriff Neid wird in den letzten Jahren politisch gerne als verunglimpfender Kampfbegriff der Besitzenden für das Gerechtigkeitsempfinden der Nichtbesitzenden verwandt (z.B. „Sozialneid“, „Neidsteuer“ für Vermögenssteuer usw.).Neid kann sich sowohl auf materielle als auch auf immaterielle, reale oder vermeintliche „Besitztümer“ beziehen, zum Beispiel auf Reichtum, Vermögen, Besitz, soziale Stellung, Ansehen, Macht und Einfluss, aber auch auf Freiheit, Freizeit, Ruhe, Schönheit, Jugend usw.

Neidgefühle sind oft Scham besetzt und werden oft abgewehrt, verschwiegen oder verleugnet, unter anderem weil damit das Einverständnis der eigenen Unterlegenheit verbunden ist. Neidgefühle können z.B. abgewehrt werden durch

  • idealisierende Bewunderung,
  • Entwertung und Verachtung (der Fuchs in der Fabel von Äsop betont, dass die unerreichbaren Trauben sowieso sauer seien),
  • Identifikation oder Verschmelzung mit dem Beneideten („Ich bin genau so wie sie/er – kein Neid erforderlich.“),
  • betonte Bescheidenheit oder Selbstlosigkeit,
  • Vermeiden interpersoneller Vergleiche, von Erfolg oder von Konkurrenz.

Als veraltet können gelten:

  • der psychoanalytische Begriff „Penisneid“ von Sigmund Freud. Nach Freud erlebt das kleine Mädchen seine körperliche Ausstattung („Penislosigkeit“) als Mangel, woraus eine Feindseligkeiten gegenüber den „Penisbesitzern“ resultiert. Neidgefühle von Frauen gegenüber Männern sind, sofern vorhanden, offensichtlich durch die soziale Benachteiligung der Frauen bedingt und nicht durch biologische Körpergestalt.
  • das psychoanalytische Konzept des „Brustneids“ von Melanie Klein. Nach Klein erlebt der Säugling die Brust der Mutter so, als besitze sie alles, was er, der Säugling, begehrt, als verfüge sie über einen „unbegrenzten Strom von Milch und Liebe“. Wenn Sie dies scheinbar zurückhält oder temporär abwesend ist, entsteht nach Klein im Säugling heftige Aggression, die der Säugling in die Brust hinein projiziert, die dadurch von einem „guten“ zu einem „bösen Objekt“ wird, das der Säugling daraufhin zerstören möchte. Diese Theorie konnte durch die moderne Säuglingsforschung nicht bestätigt werden.

Mögliche Folgen von Neidgefühlen in der Psychotherapie können sein:

  • die „negative therapeutische Reaktion“, also dass es dem Patienten in der Therapie nicht besser oder sogar schlechter geht, aus dem unbewussten Impuls heraus, die Fähigkeiten des Therapeuten, ihm zu helfen, zu entwerten,
  • „omnipotente Hilflosigkeit“: es wird auf „masochistische“ Weise eine Konstellation geschaffen, in der es der in seinen Fähigkeiten beneidete Therapeut nicht schafft, den Patienten zu heilen,
  • therapeutische Erfolglosigkeit: aus Angst des Patienten vor dem Neid seiner Umgebung.

Werner Eberwein