Was ist Familienaufstellung nach Hellinger?

Unter „Familienaufstellung nach Hellinger“ wird eine Methode der systemischen Lebenshilfe verstanden, die von Bert Hellinger entwickelt wurde.

Hellinger (* 1925) war ursprünglich katholischer Priester, leitete bis 1968 eine Missionsschule in Südafrika und absolvierte nach seinem Ordensaustritt diverse psychotherapeutische Ausbildungen. Er lebt seit 2004 in der Kleinen Reichskanzelei in der Nähe von Berchtesgarden, dem ehemaligen zweiten Regierungssitz der deutschen Nationalsozialisten und geriet u.a. durch zynische Äußerungen zum Holocaust und zu weiteren politischen Fragen in die Kritik. Hellinger bezeichnet seine Arbeit heute als „Lebenshilfe“ und lehnt einen psychotherapeutischen Anspruch ab.

Hellinger entwickelte seine Methode des Familienstillens aus der Familienrekonstruktionsarbeit der amerikanischen Familientherapeutin Virginia Satir (1916-1988). Die Hellinger-Aufstellungen finden normalerweise in Gruppen von etwa 10-20 Personen, bisweilen auch in Veranstaltungen mit hunderten von Teilnehmern statt.

Der Protagonist der Sitzung, der sogenannte „Aufsteller“ wird aufgefordert, in wenigen Sätzen sein Problem und seine aktuelle und kindliche Lebenssituation zu schildern und die Personen zu nennen, die für ihn heute und damals bedeutungsvoll sind bzw. waren. Für diese Personen wählt der Aufsteller unter den anderen Gruppenteilnehmern je einen „Stellvertreter„, die er intuitiv so im Raum verteilt, dass die Beziehungen durch die Aufstellung wiedergegeben wird. Im weiteren Verlauf arbeitet der Leiter dann in der Regel nur noch mit den Stellvertretern, deren vom Leiter gelenkte Interaktion vom Aufsteller passiv rezipiert wird.

Nach Ansicht der Hellinger-Familienaufsteller entstehe auf diese Weise ein sogenanntes „wissendes Feld„, in dem die Stellvertreter in sich selbst Gedanken und Gefühle wahrnehmen, die den von ihnen repräsentierten Personen entsprechen. In dem Aufstellungsfeld würden „systemische Verstrickungen“ deutlich, z.B. Beziehungsaufgaben, die der Aufsteller unbewusst übernommen haben, und die sein Leben seither prägten. (Dieses Konzept wird von professionellen Psychotherapeuten inzwischen infrage gestellt.)

Diese Muster könnten in der Aufstellungsarbeit bewusst gemacht und verändert werden, indem die Stellvertreter vom Aufstellungsleiter

  • räumlich anders arrangiert werden,
  • archaische körperliche  Rituale durchführen (z.B. sich verneigen, auf die Knie gehen) ,
  • vom Aufstellungsleiter vorgegebene, rituelle Formulierungen nachsprechen (z.B. „Ich gebe dir die Ehre“, „Ich habe es für dich getan“, „Ich lasse es bei dir“),

die nach Hellingers Meinung „die Ordnung des Systems wiederherstellen“.

Hellinger geht von einer natürlichen, vorgegebenen „Ordnung“ aus, die der Mensch sich „nicht aussuchen“ könne, und über die er, Hellinger, ein Wissen besitze, über das der jeweilige Aufsteller nicht verfüge.

Im Zentrum seiner Arbeit stehen die Begriffe des Gewissens, der Zugehörigkeit, die Achtung und Demut vor den Eltern, sowie der Ausgleich von Geben und Nehmen. Hellinger versteht die „Sippe“ als „Schicksalsgemeinschaft“, in der jedes Mitglied eine „festgelegte Funktion“ habe. In den Aufstellungen geht es meistens um Aussöhnung mit abgelehnten Familienmitgliedern, um die Integration ausgegrenzter, manchmal verstorbener Personen und um Achtung und Demut besonders  gegenüber den Eltern.

Die Hellinger-Methode der Familienaufstellung ist in der Fachöffentlichkeit äußerst umstritten. Die Mehrzahl der Familientherapeuten sowie deren Vereinigungen, die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) distanzieren sich inzwischen von Hellinger. Seine Methode sei „unvereinbar mit grundlegenden Prämissen systemischer Therapie„,  „ethisch nicht vertretbar und gefährlich für die Betroffenen„. Was an Hellingers Arbeitsweise brauchbar und wirkungsvoll sei (z.B. die Mehrgenerationen-Perspektive, die psychodramatische Darstellung von Familienstrukturen, das Thematisieren von generationsübergreifenden Mustern) sei weder neu noch spezifisch für die Arbeitsweise von Hellinger.

Hellinger wird u.a. vorgeworfen:

  • gegen die einfachsten Regeln der Psychotherapie zu verstoßen,
  • in seiner Arbeit von reaktionären, patriarchalischen und rigiden Normvorstellungen auszugehen, die sich stark an der konservativen katholischen Morallehre, ja sogar an alttestamentarischen Vorstellungen orientierten,
  • unsensibel und dirigistisch im Umgang mit den Klienten zu sein,
  • Massenveranstaltungen im Schnellverfahren zu praktizieren,
  • mit Suggestionen, Illusionen und Manipulationen drastische Fehlinterpretationen zu produzieren,
  • bei den Aufsteller heftige seelische Erschütterungen und tiefe Verunsicherung in bis hin zu Suizidgedanken zu produzieren, und sie dann damit allein zu lassen,
  • mit theologischen Phrasen, mystischen Geschichten und absoluten Werturteilen zu arbeiten,
  • umfassende Hilfe für alles und jedes anzubieten,
  • mit psychischem Druck und auf manipulative Weise Demut gegenüber den Eltern zu fordern,
  • sich mit einer Attitüde des Allwissenden zu umgeben, der über eine absolute Wahrheit verfüge,
  • die psychische Autonomie der Aufsteller einzuschränken, statt sie zu fördern,
  • magische Rituale und Orakel zu veranstalten,
  • bei seinen Anhängern das Nachbeten einer Okkult-Lehre über die Entstehung von Krankheit und Leid zu fördern,
  • sich in einer Aura des Nicht-Kritisierbaren von einer gläubigen Anhängerschaft bewundern zu lassen,
  • ohne persönliche Beziehung zwischen Therapeut und Klient zu arbeiten,
  • zu suggerieren, dass selbst gravierende psychische Probleme durch eine einzige Familienaufstellung grundlegend verändert werden könnten,
  • das Erleben und die Aussagen der Stellvertreter nicht als zu prüfende und ggf. zu verwerfende Hypothesen, sondern als unabweisbare Wahrheit zu betrachten,
  • Auftragsklärung und Anliegenorientierungen zu vernachlässigen,
  • mystifizierende und selbstimmunisieren der Beschreibungen zu verwenden,
  • mit dogmatischen, nicht hinterfragbaren Deutungen zu arbeiten,
  • demütigende Interventionen und Unterwerfungsrituale zu praktizieren,
  • die Überprüfung und Überprüfbarkeit seiner Methoden abzulehnen,
  • sich der kritischen Diskussion innerhalb der Fachöffentlichkeit zu entziehen,
  • keine partnerschaftliche Kooperationsbeziehung mit den Patienten anzustreben.

Darüber hinaus sei die Hellinger-Methode nie nach einem ausgearbeiteten Lehrkonzept vermittelt worden, so dass sie heute von mehreren tausend Familienaufstellern praktiziert werde, die sie nie wirklich gelernt hätten, von denen viele keine therapeutischer Basisausbildung haben, und von denen einige glauben, bereits nach Teilnahme an einem einzigen Workshop Aufstellungen durchführen zu können und dabei behaupten, von Hellinger ausgebildet worden zu sein.

Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, könnten Sie das Buch von Colin Goldner „Der Wille zum Schicksal. Die Heilslehre Bert Hellingers „ oder die Stellungnahme der DGSF zu Hellinger lesen.

Werner Eberwein