Was ist EMDR?

EMDR ist eine von der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin und Psychologin Francine Shapiro (* 1948) entwickelte Methode zur Behandlung v.a. von Traumafolgestörungen.

EMDR ist die Abkürzung für Eye Movement Desentization and Reprocessing (Augenbewegungs-Desensibilisierung und Wiederaufbereitung). Beim EMDR werden eine Reihe von gebräuchlichen Techniken der Traumabehandlung wie „sicherer Ort“, Affektbrücke, kognitive Umstrukturierung usw. angewandt. Spezifisch für EMDR ist die sogenannte „bilaterale Stimulation“: der Patient denkt an ein traumatisches Ereignis, während dessen hält der Therapeut zwei Finger etwa 40 cm vor die Augen des Patienten und bewegt diese etwa 20-30 mal von rechts nach links und fordert den Patienten auf, dieser Bewegung mit den Augen zu folgen. Statt der Augenbewegungen werden manchmal auch abwechselnd rechts und links gegebene Töne oder Berührungen des Handrücken („Taps“) angewandt.

Die Wirksamkeit von EMDR zur Minderung der subjektiven Belastung durch Traumata wurde durch eine Reihe von Studien bestätigt. Die Vertreter des EMDR behaupten, dass damit eine nachhaltige Auflösung von Traumafolgenbelastungen nur einige wenige Sitzungen erfordere.

Die Wirkungsweise von EMDR ist ungeklärt. Ein Faktor ist sicherlich ein Dekonditionierungsprozess, in dem durch wiederholte imaginative Expositionen der traumatischen Erinnerungen in einem geschützten, therapeutischen Kontext die traumatische Reaktionen abgeschwächt und damit verbundene dysfunktionale Kognitionen modifiziert werden. Vermutet wird außerdem ein Zusammenhang mit den unbewussten Augenbewegungen während des Traumschlafes (Rapid Eye Movement, REM) sowie eine Entspannungsreaktion durch wiederholte vagotone Stimulation.

Neuerdings wird EMDR auch bei Angststörungen, zur Rückfallprophylaxe bei Alkoholikern, bei Phobien, Panikstörungen, Trauerreaktionen, Substanzabhängigkeiten, chronischen Schmerzen, Somatisierungsstörungen und chronischen Schmerzen angewandt.

Die acht Phasen der EMDR-Behandlung

  1. Anamnese und Behandlungsplanung: Unter Verwendung einer Reihe von Tests und Fragebögen wird die Vorgeschichte des Patienten, das klinische Gesamtbild, die traumatischen Ereignisse, Auslöser (Trigger) für traumatische Reaktionen, soziale Einbettungen und latente Ressourcen (z.B. bisher angewandte Bewältigungsstrategien) „strukturiert, zügig uns sachbezogen“ erfasst, Diagnosen gestellt und die Therapieziele bestimmt.
  2. Stabilisierung und Vorbereitung: Der Therapeut vermittelt dem Patienten Entspannungs- und Distanzierungstechniken, z.B. „sicherer Ort“, Körperanker, Screentechniken usw.
  3. Einschätzung vor dem Prozessieren: Es wird ein belastender negativer Gedanke herausgearbeitet, der für den Patienten mit der traumatischen Situation verbunden ist (z.B. „Ich bin vollkommen hilflos dem Tode geweiht“), sowie ein entgegengesetzter positiver Gedanken, der später an dessen Stelle treten soll (z.B. „Ich werde leben und kann die Situation bewältigen“). Das subjektive Belastungsgefühl durch das traumatische Ereignis wird auf einer Skala von 1 bis 10, das subjektive Wirklichkeitsgefühl des negativen und des positiven Gedankens auf einer Skala von 1 bis 7 eingeschätzt.
  4. Neuverarbeitung: Nun folgen die oben beschriebenen, geführten Augenbewegungen, während der Patient an das traumatische Ereignis denkt. Nach jeder Stimulationsserie fragt der Therapeut den Patienten, welches unverarbeitete Material in sein Bewusstsein getreten sei. Sodann fragt er ihn, wie hoch er jetzt das subjektive Belastungsgefühlen und den Wahrheitsgehalt der negativen und der positiven Gedanken einschätzt. Solange das Trauma noch als belastend, der negativer Gedanke als zutreffend und der positive Gedanke als unzutreffend empfunden wird, wird die Rechts-links-Bewegung mehrfach wiederholt. Zusätzlich werden weitere kurzzeittherapeutische Methoden der Traumabewältigung angewandt.
  5. Verankerung: Wenn die subjektive Belastung durch das Trauma vollständig verschwunden ist, der negative Gedanke als vollkommen zutreffend und der positive als ganz und gar stimmig empfunden wird, fordert der Therapeut den Patienten auf, nochmals an die traumatische Situation zu denken und diese mit dem positiven Gedanken zu verbinden, wobei die Verbindung durch nochmalige Augenbewegungs-Stimulation „verankert“ wird.
  6. Körpertest: Der Patient wird aufgefordert, mit seiner Aufmerksamkeit durch seinen Körper zu gehen und die dabei auftretenden Körperempfindungen zu schildern, um zu prüfen, ob noch Belastungsreste durch das Trauma vorhanden sind.
  7. Abschluss: Am Ende der Sitzung folgt eine kurze Entspannung- und Distanzierungsübung sowie eine Nachbesprechung, in der der Therapeut sicherstellt, dass der Patient wieder stabil im Hier-und-Jetzt orientiert ist.
  8. Überprüfung und Neuebewertung: Zu Beginn der nächsten Sitzung wird überprüft, ob das in der letzten Sitzung bearbeitete Trauma vollständig und dauerhaft verarbeitet wurde. Zum Abschluss der Behandlung wird die Eingangsdiagnostik wiederholt, um den erzielten Effekt der Behandlung zu überprüfen.

Kritik

Kritisiert wird an EMDR, dass

  • seine Wirkungsweise bis heute ungeklärt ist,
  • es nicht zur Bearbeitung von Störungen durch traumatische Beziehungsmuster geeignet sei,
  • es mechanisch und rezeptartig arbeite und durch einen systematischen Mangel an persönlicher Beziehung und Anteilnahme zu Retraumatisierungen führen könne,
  • die mit dem Trauma verbundenen Emotionen nur insofern von Interesse seien, als sie belastend seien, so dass das Ziel der Behandlung die „emotionale Bedeutungslosigkeit“ des Traumas sei,
  • dass es sich dabei im Grunde bloß um eine Dekonditionierung durch Ablenkung durch eine belanglose Aktivität handele, vergleichbar mit der im NLP üblichen Seperator-Methode.

Wer mehr über EMDR wissen möchte, kann die Bücher von Francine Shapiro (z.B. EMDR, Grundlagen & Praxis, Junfermann 1999) oder von Oliver Schubbe (z.B. Traumatherapie mit EMDR, Vandenhoeck & Ruprecht, 2004) lesen.

Werner Eberwein