Kann man jemanden mit einem Fingerschnipsen hypnotisieren?

„Mit Methode X kann ich jeden Patienten innerhalb von wenigen Minuten in eine Trance versetzen, die so tief ist, dass ich darin alles erforderliche mit ihm machen kann“ – so behaupten die Vertreter der sogenannten „Schnellhypnose“. Geht das tatsächlich?

Manchmal geht eine Trance-Induktion tatsächlich überraschend schnell. Es gibt Patienten, die so empfänglich und kooperativ sind, dass man sie nur intensiv anzuschauen braucht, und schon sind sie in Trance.

Die moderne, erickson’sche Hypnose ist, was die Tiefe der Hypnose betrifft, ziemlich pragmatisch orientiert. Ericksonianer unterscheiden nur unscharf zwischen verschiedenen Tiefenstadien sowie zwischen Induktion, Vertiefung, Nutzung und Reorientierung. Der Wachzustand und die Trance verschwimmen für Ericksonianer miteinander. Suggestionen werden bereits vor der formellen Induktion oder noch nach der Reorientierung gegeben. Erickson’sche Hypnose ist ein ganzheitlicher Prozess. Die Tiefe der Trance ist für Ericksonianer weniger relevant. Es kommt ihnen darauf an, die Kooperationsbereitschaft des Unbewussten zu fördern. Wenn dissoziative therapeutische Prozesse in Richtung auf das gewünschte Ziel hin feststellbar sind, ist es für Ericksonianer nicht wichtig, ob oder wie tief der Patient in Trance ist. Daher legen Ericksonianer es nicht auf besonders „tiefe“ Trancezustände an, und daher ist die Induktionsphase in der ericksonianischen Hypnose manchmal recht kurz. Der Übergang zwischen Wachzustand, Trance, Nutzung der Trance und Reorientierung geschieht praktisch unmerklich.

Dennoch: Um stabile dissoziative Prozesse zugänglich zu machen, braucht es auch mit erickson’schen Techniken bei den meisten Patienten einige Zeit und eine gewisse Vorarbeit. Hochsuggestible Patienten gehen zwar mitunter in wenigen Minuten so tief in Trance, dass Anästhesie, Ressourcenaktivierung oder nachhaltige Posthypnose möglich sind. Die meisten Patienten brauchen dafür aber etwa 15 bis 20 Minuten Zeit, je nach Trance-Fähigkeit und angezielter Intervention. Manche Patienten brauchen sogar noch viel mehr Zeit, und nach meinem Verständnis sollte der Therapeut ihnen diese Zeit auch geben. Eine „Drängelinduktion“ stellt meines Erachtens die Entspannungswirkung der Hypnose auf den Kopf. Es hat keinen Sinn, einen Patienten, der langsam reagiert, aus ökonomischen oder narzißtischen Gründen drängeln zu wollen. Das erzeugt bloß Druck, und Druck erzeugt Widerstand. Manchmal ist der alte Satz hilfreich:

„Wenn du willst, dass es schnell geht, mach langsam.“

Der Beginn der Induktion geht oft relativ schnell. Wenn man nur diese Phase misst, entstehen ziemlich kurze Zeitangaben. Es dauert meistens tatsächlich nur eine bis zwei Minuten, bis der Patient reglos mit geschlossenen Augen dasitzt. Das sieht von außen für einen naiven Beobachter wie eine Trance aus, ist aber in meinem Verständnis in den meisten Fällen noch kein veränderter Bewusstseinszustand. Die eigentliche Tranceinduktion wird dann bei Schnellhypnoseverfahren als „Vertiefung“ bezeichnet. Während dieser „Vertiefung“ findet aber erst der allmähliche Wechsel des Bewusstseinszustandes statt. Und dieser Prozess dauert bei den meisten Menschen – etwa 15 bis 20 Minuten. Von diesem Zeitbedarf gibt es einige Ausnahmen:

  • Hochsuggestible Patienten reagieren, wie gesagt, manchmal deutlich schneller.
  • Wenn es hauptsächlich um intensive Ablenkung geht, wie zum Beispiel bei manchen Induktionstechniken für Kinder, dann kann man tatsächlich recht schnell arbeiten. Ein Kind mit etwas zu faszinieren, was für das Kind interessant ist, geht ziemlich schnell. Es ist eher schwierig, diese Faszination für längere Zeit aufrechtzuerhalten. Daher überfluten Hypnotherapeuten Kinder manchmal mit kindgerechten Refokussierungstechniken und können dann mit ihnen gut arbeiten. Das geht oft recht schnell, aber meines Erachtens sollte man hier im Regelfall eher von einem „Hypnoid“ (einem Hypnose-ähnlichen Zustand) sprechen, nicht von einer stabilen Dissoziation („Hypnose“).
  • Auch wenn ein Patient schon mal hypnotisiert worden ist und stabil installierte Rehypnose-Anker hat, können Hypnoseinduktionen schnell, manchmal blitzartig gehen („Signalhypnose“). Nach einer längeren, ausführlichen Induktionsphase wird der Versuchsperson posthypnotisch suggeriert, dass sie aufgrund eines bestimmten Auslösereizes augenblicklich in Trance versinken würde. Der Auslösereiz ist dann entweder ein Schlüsselwort oder eine spezifische Berührung (Streichen über die Augen oder ähnliches). Die Etablierung der Signalhypnose braucht einige Zeit (man ahnt es schon: etwa 15 bis 20 Minuten), aber beim nächsten Mal geht die Re-Induktion der Trance wesentlich schneller, manchmal praktisch augenblicklich.
  • Im Bereich der psychotherapeutischen Anwendungen der Hypnose geht es gelegentlich nur um fokussierte Oberflächenprozesse, die keine besonders intensive Trance erfordern, ja, die im Grunde auch im Wachzustand erreicht werden könnten. Bei vielen NLP-Imaginationsmethoden (z.B. Swish, Alignment, Mentorenarbeit, Timeline usw.) ist der Patient in der Regel nicht besonders stark dissoziiert. Der Zustand des Patienten während solcher Übungen ist nahe am gewöhnlichen Wachzustand („hypnoid“). Daher erfordern diese Techniken keine gründliche Tranceinduktion. Der Zustandswechsel geschieht beiläufig während und als Folge der Anwendung der NLP-Methode. Allerdings können nach meiner Erfahrung mit solchen schnellen Transformationstechniken nur Probleme bearbeitet werden, die eher aktuell-reaktiv sind, nicht besonders tief sitzen und nicht generalisiert und in der Persönlichkeitsstruktur des Patienten verankert sind.

Wenn wir als Psychotherapeuten in den Bereich der Persönlichkeits- (Charakter-, Früh-) Störungen kommen (und die liegen bei den meisten Patienten vor!), können die Patienten in der Regel weder angemessene Beschreibungen ihrer Problematik noch nachvollziehbare Zielvorstellungen liefern, noch können sie sich stabil kooperativ auf ein therapeutisches Arbeitsverhältnis einlassen. Bei diesen Patienten ist meistens eine jahrelange Arbeit erforderlich, um immer wieder eine tragfähige therapeutische Arbeitsbeziehung herzustellen, um sich den neuralgischen Punkten im Leben des Patienten allmählich anzunähern und sie durchzuarbeiten. Von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen werden Schnellphypnosetechniken oft als bedrohlich erlebt, weil sie ihre ohnehin instabile Ich-Struktur weiter destabilisieren. Aber genau das sind die Patienten, die zuhauf die Praxis der Psychotherapeuten aufsuchen. Menschen mit begrenzten Symptomstörungen, die lediglich schnellstmöglich eine begrenzte psychische Einschränkung ausgebügelt haben wollen, sind, zumindest unter meinen Patienten, bei weitem in der Minderheit.

In der Psychotherapie geht es oft nicht bloß darum, schnellstmöglich die Probleme zu beseitigen, die der Patient im Erstgespräch genannt hat („Index-Symptome“). Vielmehr besteht der Prozess der Psychotherapie häufig darin, in einem allmählichen Prozess der Selbsterkundung mit dem Patienten zusammen herauszufinden, was die strukturelle Basis seiner Oberflächensymptome ist. Psychotherapie, die sich auf die bloße Beseitigung von Oberflächensymptomen beschränkt, erzeugt oft eine lange Serie von Kurzzeitbehandlungen, die in der Summe leicht eine Langzeitpsychotherapie übertreffen können.

Ein nachhaltiger psychotherapeutischer Prozess der Erweiterung und Vertiefung der eigenen Erlebnis- und Handlungsmöglichkeiten dauert oft Jahre. Wenn in einer psychodynamischen oder humanistischen Psychotherapie mit hypnotischen Techniken gearbeitet wird, geht es nicht primär um Geschwindigkeit, sondern um psychische Integrationsprozesse, und diese schreiten langsam voran, weil Geschwindigkeitsdruck die psychischen Integrationsfähigkeiten des Patienten überfordern würde. Sich dem eigenen Schatten zu stellen braucht Zeit auch wenn mit Hypnose gearbeitet wird. Scheinbare Abkürzungen verlängern dabei oft bloß den Weg.

Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, können Sie meine Bücher „Die Kunst der Hypnose“ und „Wie Hynose wirkt“ oder „Humanistische Psychotherapie“ lesen.

Werner Eberwein