Geht man mit einem Fingerschnipsen in Trance?

Unter dem Begriff „Trance“ verstehen wir in der Hypnotherapie einen veränderten Bewusstseinszustand, in dem man weder im alltäglichen Sinn wach ist, noch schläft. Genau genommen handelt es sich dabei um ein ganzes Bündel von veränderten Bewusstseinszuständen, zum Beispiel

  • die Übergangsphase zwischen Schlaf und Wachsein jeden Morgen und jeden Abend,
  • die „Autobahntrance“, die man manchmal bei längeren, monotonen Autobahnfahrten erlebt,
  • veränderte Bewusstseinszustände durch halluzinogene Drogen,
  • das Absorbiertsein in einen spannenden Film oder einen spannenden Kriminalroman,
  • die Erfahrung einer Zweitrealität im Rahmen von erlebnisaktivierende Psychotherapieformen wie Psychodrama, Gestalttherapie oder Körperpsychotherapie,
  • oder eben die hypnotische Trance, in die man mit Unterstützung eines Hypnotherapeuten kommt.

Viele Menschen stellen sich den Übergang in eine hypnotische Trance so vor, als ob das blitzartig mit einem Fingerschnipsen geschehen würde. Diese Vorstellung ist geprägt durch die (teils albernen, teils peinlichen, teils gefährlichen) Darbietungen der Showhypnotiseure, die gelegentlich im Fernsehen, auf Jahrmärkten oder in Diskotheken auftreten. Hier handelt es sich aber um eine Show, es wird mit Tricks gearbeitet, die mit Hypnose nur wenig zu tun haben.

In Wirklichkeit gibt es zwischen dem Wachzustand, dem Schlafzustand und den verschiedenen Trance-Zuständen jeweils einen Übergangsbereich, in dem man beispielsweise schon nicht mehr ganz wach, aber auch noch nicht in einer tiefen Trance ist, sondern sich gleichsam im Grenzbereich zwischen Wachsein und Trance bewegt bewegt. Den Übergang vom Wachzustand in den Trancezustand muss man sich also nicht wie einen Lichtschalter vorstellen, mit dem man ruckartig das Wachbewusstsein aus- und den Trancezustand einschalten könnte, sondern vielmehr wie einen Dimmer, mit dem man allmählich vom Wachbewusstsein in den Trancezustand hinüber und wieder zurück gleitet.

Während einer hypnotischen Sitzung ist das Bewusstsein keineswegs die ganze Zeit über in einem tiefen Trancezustand, sondern es bewegt sich zwischen den Bewusstseinszuzständen hin und her. Das Hineinführen in eine hypnotische Trance („Induktion“) beginnt im alltäglichen Wachzustand und führt den Patienten in der Regel über eine vertiefte Entspannung und geistige Versenkung allmählich in den Trancezustand hinein. Während dessen wandert das Bewusstsein des Patienten immer wieder mal zurück zum Wachzustand, etwa wenn ein störendes Geräusch zu hören ist, oder wenn dem Patienten gerade etwas Wichtiges einfällt. Allmählich wird der Patient durch die Suggestionen des Hypnotherapeuten allmählich in tiefere Trancezustände hineingeführt. In dieser Phase geschieht es nicht selten, dass das Bewusstsein des Patienten ab und zu in Schlafzustände hineindriftet, was manchmal nur Sekunden, manchmal auch einige Minuten dauern kann, dann zwischendurch auch mal wieder fast in den Wachzustand zurückkehrt, um sich dann wieder in den Trancezustand hineingleiten zu lassen.

Dazu kommt, dass in der Regel nicht der Patient nicht als ganze Person, also mit all seinen psychischen und körperlichen Funktionen gleichermaßen wach, in Trance oder im Schlaf ist.

  • Vielmehr kann es beispielsweise vorkommen, dass das Bewusstsein subjektiv hellwach ist, während bestimmte Körperregionen sich in einem tiefen Trancezustand befinden. Wir sprechen dann von Dissoziation, das bedeutet, dass psychische Funktionen, die eigentlich zusammengehören (also „assoziiert“ sind), nun voneinander getrennt oder abgespalten (also „dissoziiert“) sind. Im genannten Beispiel wäre das Bewusstsein vom Empfinden bestimmter Körperregionen dissoziiert. Das kann dazu führen, dass ein Mensch, der sich hellwach fühlt, dennoch keinerlei Schmerzempfinden hat, was beispielsweise in Schockzuständen nach schweren Unfällen oder in bestimmten Formen von hypnotischer Anästhesie im Laufe von Operationen der Fall sein kann.
  • Eine andere Form von Dissoziation besteht darin, dass die Gefühle eines Menschen im Wachzustand sind, während bestimmte Erinnerungen sich in einem abgespaltenen Bereich seines Bewusstseins befinden, zu dem er erst mit Hilfe spezieller psychotherapeutischer Methoden Zugang finden kann. Hier sind also die Gefühle von damit verknüpften Erinnerungen dissoziiert, was beispielsweise in posttraumatischen Zuständen der Fall sein kann, in denen ein Mensch beispielsweise starke Angst oder Traurigkeit empfindet, diese aber weder seinem derzeitigen Leben noch bewusst zugänglichen Erinnerungen zuordnen kann.
  • Eine dritte Form der Dissoziation wäre es beispielsweise, wenn das Bewusstsein sich im Grenzgebiet zwischen Wachzustand und Schlaf befindet, während die Motorik bestimmter Körperregionen sich in einer mittleren Trance bewegt. Der Patient hat also subjektiv das Gefühl zu „dösen“, während sein Körper (beispielsweise ein Arm oder ein Finger) bestimmte Bewegungen auf die Suggestionen eines Hypnotherapeuten hin ausführt. Dies wäre beispielsweise bei einer so genannten am amnestischen Ideommotorik der Fall, wenn also ein Hypnotherapeut dem Patienten suggeriert, dass sein Arm sich wie von selbst hebt, während der Patient diese Bewegung nicht bemerkt und im Nachhinein nicht erinnert.

Die Bewusstseinszustände sind also ein Kontinuum, das Bewusstsein bewegt sich innerhalb der verschiedenen Zustände und auch zwischen ihnen, und es sind Teil-Trancen möglich, in denen bestimmte psychischen Funktionen voneinander dissoziiert sind.

Werner Eberwein