Was ist Ideomotorik?

Unter Ideomotorik versteht man in der Hypnotherapie die Arbeit mit suggerierten Körperbewegungen. Der Begriff Ideomotorik ist im Grunde irreführend. Es geht eigentlich nicht um motorische Bewegungen aufgrund von Ideen, also von Gedanken, sondern vielmehr um körperliche Bewegungen als Reaktion auf hypnotische Suggestionen, unabhängig davon, ob diese bewusst (als „Ideen“) wahrgenommen werden oder nicht. Der korrekte Begriff wäre eigentlich „Hypnomotorik“.

Formen von Ideomotorik

Wir unterscheiden vier Formen von Ideomotorik:

  • Levitation bedeutet, dass ein Körperteil (in der Regel ein Arm, eine Hand oder ein Finger) sich aufgrund von hypnotischen Suggestionen „wie von selbst“ erhebt.
  • Katalepsie ist ein Starrezustand eines Körperteils (in der Regel wiederum eines Armes) oder des ganzen Körpers aufgrund von hypnotischer Suggestion.
  • Ideomotorisches Signalisieren ist eine Technik, bei der entweder im Wachzustand oder in der hypnotischen Trance bestimmte Bewegungen (in der Regel das Heben von Fingern) als Signalsystem etabliert wird. Beispielsweise bedeutet das Heben des Zeigefingers „ja“, das Heben des Mittelfingers „nein“ und das Heben des Daumen „ich weiß nicht/ich will nicht antworten“ usw.
  • Emotionaler Ausdruck in Trance wird klassisch nicht zu den ideomotorischen Prozessen gezählt, dennoch handelt es sich auch hier um Körperbewegungen, die aufgrund von suggerierten Stimmungen oder Szenerien entstehen können (beispielsweise ein Ausdruck von Überraschung, Neugierde, Verwunderung, aber auch Ärger, Trauer oder Angst).

Wie werden ideomotorische Bewegungen subjektiv erlebt?

Wie und ob überhaupt die körperlichen Reaktionen eines Menschen in Trance von ihm subjektiv erlebt werden, hängt vor allem von der Tiefe der Trance ab. Je tiefer die Trance ist, umso weiter ist der Patient vom normalen Wachbewusstsein entfernt in einem dissoziativen Entspannungs-und Versenkungszustand.

  • In einer leichten oder beginnenden Trance erlebt der Patient die ideomotorischen Bewegungen so, als ob er sie bewusst ausführt. In einer seriösen Hypnotherapie befindet sich der Patient in einem kooperativen Verhältnis zum Therapeuten, der ihm bei der Bewältigung seiner Probleme helfen soll. Daher „macht er mit“. Wenn der Therapeut ihn beispielsweise anbietet: „Solange du dich wohlfühlst, wird dein Arm in dieser erhobenen Position bleiben“, und der Patient ist in einem noch relativ bewusstseinsnahen Zustand, also nur in einer leichten Trance, dann wird er den Arm bewusst erhoben halten, solange er sich wohl fühlt, um dem Therapeuten zu zeigen, dass alles in Ordnung ist.
  • Wenn die Trance ein wenig tiefer ist, nimmt der Patient die ideomotorische Bewegung noch immer als etwas von ihm absichtlich Getanes war, aber von außen betrachtet ist die Bewegung verlangsamt oder beschleunigt.
  • In einer tiefer werdenden Trance erlebt der Patient einen autonomen Impuls zu der ideomotorischen Bewegung, als ob sie „geschehen möchte“. Der Patient lässt zu, dass die Bewegung geschieht und erlebt sie dann eher passiv mit. Es ist keine absichtlich und bewusst getane Bewegung mehr, aber auch noch keine vollständig unbewusst gesteuerte Bewegung. Der Patient befindet sich in einer mittleren Trancetiefe und in einem partiellen Dissoziationszustand.
  • In noch tiefer werdender Trance nimmt der Patient wahr, dass beispielsweise ein Arm sich bewegt oder unbeweglich wird, und er empfindet diese motorischen Reaktionen als etwas, was „von selbst“ geschieht, was er nicht selbst kontrolliert, also weder absichtlich „macht“ noch willentlich „zulässt“: Es geschieht „von selbst“. Das ist, wenn man das zum ersten Mal erlebt, eine seltsame und faszinierende Erfahrung, die behutsame und sicherheitsgebende Begleitung durch den Therapeuten braucht, damit der Patient diesen Prozess eines partiellen Kontrollverlustes als etwas Angenehmes und nicht Bedrohliches erlebt.
  • In Tieftrance, also in einem vollständig dissoziierten Bewusstseinszustand sind die ideomotorischen Bewegungen zwar von außen sichtbar (wenn auch mitunter subtil, stark verlangsamt oder beschleunigt), aber der Patient erlebt sie nicht bewusst mit und erinnert sich hinterher nicht mehr an sie. In dieser Trancetiefe kann das ideomotorische Heben eines Fingers so langsam geschehen, dass man von außen die Bewegung praktisch nicht mehr sieht, sondern nur wahrnimmt, dass sich nach einer Weile ein Finger gehoben hat. Oder die Bewegung geschieht blitzschnell, oder ist nur sehr klein, was vom Therapeuten eine präzise Aufmerksamkeit erfordert, um sie nicht zu übersehen.

In der hypnotherapeutischen Arbeit ist es keineswegs erforderlich, dass der Patient immer in einem tiefen Dissoziationszustand ist. Solange der hypnotische Rapport funktioniert, solange also Therapeut und Patient an ihrer gemeinsamen Aufgabe (dass es dem Patienten besser geht) arbeiten, sind ideomotorische Reaktionen auf jedem der genannten Dissoziationsniveaus in Ordnung und können in der hypnotherapeutischen Arbeit genutzt werden.

Ratifikation durch Convincer

Wenn der Therapeut dem Patienten ideomotorische Reaktionen suggeriert, also beispielsweise die Levitation oder Katalepsie eines Armes, ideomotorisches Signalisieren mit den Fingern oder einen emotionalen Ausdruck der Freude oder des Wohlgefühls, und der Patient befindet sich in einer mittleren Trance, dann erlebt der Patient diese körperlichen Reaktionen bewusst mit, aber er erlebt sie so, als ob sie ohne sein bewusstes Zutun und aktives Handeln „von selbst“ geschehen.

Diese Erfahrungen überzeugt den Patienten, dass er sich in einem Sonderzustand, nämlich in einer hypnotischen Trance befindet. Das ist vor allem deswegen wichtig, weil Trancezustände von den meisten Patienten zunächst nicht als solche registriert werden. Selbst Patienten, denen in Hypnose ein Zahn gezogen oder sogar der Blinddarm entfernt wird, berichten manchmal hinterher, sie seien gar nicht in Trance gewesen, hätten aber dennoch keinen Schmerz erlebt. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Aussagen ist Ihnen in aller Regel nicht bewusst. Wenn Patienten aber einen Convincer erleben, also bewusst eine Erfahrung machen, die sie in ihrem Alltagsbewusstsein normalerweise nicht kennen, so wird ihnen deutlich, dass sie in einem veränderten Bewusstseinszustand sind. Diese Erfahrung kann Patienten vor Enttäuschungsgefühlen („Bei mir funktioniert das nicht“) bewahren.

Darüber hinaus verstärken Convincer die Wirkung der hypnotherapeutischen Arbeit. Sie überzeugen den Patienten von der Wirkung hypnotische Suggestion, also auch von der Wirkung der dann folgenden therapeutischer Suggestionen. Es wurde durch vielfältige Untersuchungen nachgewiesen, dass die Überzeugung („der Glaube“) des Patienten an die Wirkungen von Suggestionen (und von psychotherapeutischer Behandlung überhaupt) den therapeutischen Effekt deutlich verstärkt.

Darüber hinaus sind als Convincer eingesetzte ideomotorische Bewegungen auch geeignet, um dem Therapeuten zu verdeutlichen, dass der Patient in einem Trancezustand ist. Vor allem zu Beginn ihrer therapeutischen Arbeit zweifeln Hypnotherapeuten oft zunächst, ob der Patient wirklich in einen Trancezustand ist, oder ob er lediglich absichtlich die Augen geschlossen hat oder gar eingeschlafen ist.

Wenn jedoch aufgrund einer hypnotischen Suggestion bspw. ein Arm des Patienten sich extrem langsam hebt und dann, wiederum aufgrund einer Suggestion des Therapeuten, das Kinn des Patienten berührt, so weiß der Therapeut, dass der Patient nicht eingeschlafen ist, und dass er auf die Suggestionen des Therapeuten reagiert. Wenn der Therapeut sieht, dass die ideomotorischen Bewegungen auf die Trance-typische Weise schnell und subtil, oder langsam und ruckartig geschehen, so kann er daran erkennen, dass der Patient nicht mehr im Wachzustand ist, sondern sich in einem mindestens mittleren Trance-Zustand befindet. Ideomotorik dient somit auch für den Therapeuten als Convincer für die Wirkungen seiner hypnotischen Suggestionen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von der Ratifikation (Bestätigung) der Hypnose.

Es kann auch mal schiefgehen

Die hypnotische Suggestion ideomotorische Bewegungen zählt zu den leichteren und für die meisten Patienten relativ einfach umzusetzenden Suggestionen. Allerdings gibt es Patienten, denen ideomotorische Prozesse schwerfallen (die dann aber bspw. leicht visuelle Fantasien oder akustische Halluzinationen erleben können). Ideomotorische Effekte können vom Therapeuten und (außer in Tieftrance) auch vom Patienten unmittelbar beobachtet werden. Daher gibt es bei der Suggestion von Ideomotorik ein gewisses Misserfolgsrisiko. Obwohl dieses nicht allzu groß ist, muss der Therapeut bereit sein, sich diesem Risiko zu stellen und wissen, wie er damit umgeht, wenn „es nicht funktioniert“, ohne den Rapport zu verlieren und damit den hypnotischen Prozess zu unterbrechen. Wie das geht, lernt man in einer Hypnose-Ausbildung.

Weitere Anwendungsmöglichkeiten von Ideomotorik

Außer als Convincer zur Ratifikation des Trancezustandes können Ideomotorische Effekte beispielsweise eingesetzt werden:

  • zur Einleitung und zur Ausleitung von Trance-Zuständen, indem der Therapeut beispielsweise suggeriert, dass der Patient in dem Maße in Trance geht, wie sich ein Arm hebt, und in dem Maße aus der Trance zurückkehrt, wie der Arm sich wieder senkt,
  • als nonverbales Signalsystem zur Kommunikation mit dem Patienten in Trance ohne ihn aufzuwecken, indem der Therapeut beispielsweise suggeriert, dass der „Ja-Finger“ des Patienten sich heben werde, sobald eine Körperregion so empfindungslos geworden ist, dass dort ein chirurgischer Eingriff vorgenommen werden kann,
  • zur Vorbereitung von therapeutischer Dissoziation, die auf vielfältige Weise hypnotherapeutisch angewandt wird, weil ein Körperteil, in dem ideomotorische Prozesse stattfinden, sowieso bereits teilweise oder vollständig aus dem Gewahrsein und der willentlichen Kontrolle des Patienten entfernt (also dissoziiert) ist,
  • zur Vorbereitung von Hypnose-Anästhesie, die ja auch nur eine spezifische Anwendung von dissoziativen Prozessen ist. Beispielsweise kann der Hypnotherapeut dem Patienten suggerieren,
    – dass einer seiner beiden Arme sich „wie von selbst“ hebe,
    – dass dieser Arm kataleptisch, also starr und unbeweglich wird,
  • als nächstes kann er ihm Kälte, Empfindungsfähigkeit und Taubheit in diesem Arm suggerieren,
  • die er als dann suggestiv auf eine andere Körperregion überträgt, die hypnotisch taub, also an ästhetisch gemacht werden soll.

Ideomotorische Signale werden häufig angewandt, um dem Therapeuten ein Feedback darüber zu geben, was der Patient in Trance erlebt und ob die Suggestionen des Therapeuten beim Patienten ankommen. Beispielsweise könnte der Therapeut dem Patienten in Trance einen hypnotischen Traum suggerieren, in dem der Patient Möglichkeiten zur Bewältigung eines Problems erlebt. Der Beginn und das Ende des Traumes, sowie die Intensivierung des Traumerlebens und wenn der Patient in dem hypnotischen Traum eine Erfahrung macht, die ihn bei der Bewältigung seines Problems unterstützt, kann äußerlich durch ideomotorisches Feedback (z.B. durch Arm-, Hand- oder Fingerbewegungen) angezeigt werden. Am Ende dieses Prozesses kann das Absenken des Armes die Rückkehr aus dem Trancezustand anzeigen

Auf ähnliche Weise können diverse Bewegungen der Hände des Patienten wie z.B.:

  • Heben oder Senken,
  • Bewegungen aufeinander zu oder voneinander weg,
  • Drehbewegungen oder
  • symbolische Gesten

suggestiv mit inneren Prozessen im Patienten assoziiert werden, wie z.B. „ja“- oder „nein“-Reaktionen, Loslassen oder Ergreifen, Verknüpfen, Verbinden oder Trennen, Abstand oder Nähe, ja sogar emotionale Bezüge wie Ärger oder Neugier.

Oder der Patient kann eingeladen werden, Symbole für problematische Anteile seiner selbst in seine Hände zu imaginieren, die er dann in Trance in einer Geste des Los- oder Fallenlassen verabschiedet.

Oder in die eine Hand kann eine Ressource imaginiert werden, in die andere Hand ein Problemzustand, und dann wird imaginativ die Ressourcen dem Problemzustand hinzugefügt.

Eine weitere Möglichkeit ist es,

  • ideomotorische Fingersignale für „ja“ und „nein“ zu etablieren,
  • den Patienten dann in eine mittlere Trance zu führen,
  • ihn in der Trance suggestiv einzuladen, sich in eine ressourcenvolle Szenerie zu begeben (z.B. einen symbolischen „Ort der Weisheit“),
  • und dort Kontakt mit einer Repräsentation für seine Intuition (mit der „Weisheit des inneren“) aufzunehmen,
  • mit seinem kreativen Unbewussten einen Dialog zu führen, es also z.B. um Rat zu fragen,
  • sein Unbewusstes um Unterstützung bei der Bewältigung eines Problems zu bitten,
  • und den Patienten dann wieder aus der Trance herauszuführen.

Diese innerpsychischen Prozesse können nach außen durch ideomotorisches Feedback sichtbar gemacht werden, was es dem Therapeuten erleichtert, die inneren Prozesse zu begleiten und anzuleiten.

Ideomotorik ist eine spannende Technik zur Kommunikation mit Patienten selbst in tiefer, dissoziativer Trance, die es ermöglicht, psychische und psychosomatische Transformationsprozesse suggestiv einzuladen, zu begleiten und anzuleiten, die im bewussten Wachzustand schwer oder nicht möglich wären.

Werner Eberwein