Was ist Biodrama?

Für die Arbeit mit äußeren und inneren Konflikten hat sich in der humanistischen Körperpsychotherapie die Arbeit mit dem Biodrama, also mit körperorientierten Rollenspielen bewährt. Das Biodrama ist dem Psychodrama verwandt, im Unterschied zu diesem aber weniger strukturiert, spielerischer und vielfältiger in Aufbau und Anwendungen, und der Schwerpunkt liegt stärker auf dem körperlichen Ausdruck von Emotionen in Mikro-Interaktionen, während er beim Psychodrama eher auf dem spielerischen Ausdruck von komplexeren Interaktionsszenen liegt.

Quellen

Die Biodrama-Technik hat ihre Wurzeln in

  • der psychotherapeutischen Körperarbeit nach Wilhelm Reich und seinen Nachfolgern,
  • der psychotherapeutischen Arbeit mit improvisierten, theaterähnlichen Inszenierungen nach Jakob Moreno,
  • der Dialogphilosophie von Martin Buber,
  • speziellen Dialogtechniken und der Betonung des kongruenten Kontakts nach Fritz und Lore Perls,
  • der Arbeit mit Empathie und Selbstempathie nach Carl Rogers,
  • der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg,
  • der Arbeit mit dem inneren Kind nach Erika Chopich und Margaret Paul.

Ankertechniken

Im Biodrama wird mit verschiedenen Formen von Ankertechniken gearbeitet:

  • Körperausdrucksanker – Eine Beziehungsdynamik und die damit verbundenen Gefühle können durch den Körperausdruck (z.B. durch Körperhaltungen, Bewegungen, Mimik, Gestik, räumliche Anordnung wie Nähe/Distanz, oben/unten, auf den anderen zu/von dem anderen weg gehen u.ä.) auch nonverbal ausgedrückt werden. Im Alltag sowie in der Therapie können Beziehungsdynamiken und Gefühle wiederum aus dem Körperausdruck erschlossen werden.
    Es ist aber auch möglich, in der Therapie durch die Einnahme bestimmter Körperhaltungen eine Beziehungsdynamik und die damit einhergehenden Gefühle psychotherapeutisch zu aktivieren. Wenn sich beispielsweise jemand, der mit einer anderen Person einen Konflikt hat, in eine typische Körperhaltung begibt, die für ihn mit der anderen Person assoziiert ist, so fällt es ihm leichter, sich imaginativ-empathisch in diese andere Person hineinzuversetzen. Wenn ein ausdrucksgehemmter Patient den körperlichen Ausdruck von bspw. Aggression oder Extraversion nachahmt, fällt es ihm leichter, mit diesen (für ihn ressourcenvollen) Zuständen innerlich in Kontakt zu kommen.
  • Objektanker – Das können z.B. Stühle, Sessel, Hocker, Kissen, Ringe, Decken, Plüschtieren, farbige Papierblätter oder Ähnliches sein, also praktisch beliebige Objekte, die in der Psychotherapie stellvertretend entweder für verschiedene Personen einer zu bearbeitenden Beziehungsdynamik oder für Anteile der Person des Patienten sowie für den Dialog zwischen diesen verwandt werden können.

Kontakt und Empathie

Im alltäglichen Umgang mit anderen Menschen sehen wir verschiedene Formen der Kontaktgestaltung, die sich im Grad der eingenommenen Nähe bzw. Distanz zueinander unterscheiden:

  • Die intensivste Form von Distanz entsteht, wenn ein Dialogpartner den anderen oder beide einander gegenseitig bekämpfen und somit direkt oder indirekt dem anderen das Recht auf die Vertretung seiner Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse streitig machen.
  • In der Kontaktform der Distanzierung zieht sich ein Dialogpartner oder beide vom anderen zurück um deutlich zu machen: „Damit bzw. mit dir will ich nichts zu tun haben“, ohne sich jedoch aktiv gegen den anderen zu wenden.
  • Wenn sich Menschen voneinander abgrenzen, indem sie ihre Unterschiedlichkeit und Abgegrenztheit voneinander betonen, ohne aber die Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse der anderen Person infrage zu stellen, sprechen wir von Differenzierung.
  • In einem alltäglichen Gespräch, das relativ konfliktarm und tendenziell konstruktiv verläuft, ist es eine Voraussetzung, dass die Interaktionspartner ein gewisses Maß an Verständnis für einander haben, also sowohl zu den eigenen Gedanken, Bedürfnissen und Gefühlen als auch zu denen ihres Dialogpartners einen gewissen Zugang und eine Haltung der grundsätzlichen Anerkennung und Wertschätzung haben.
  • Mehr Nähe zum anderen entsteht durch das aktive Praktizieren von Empathie, also durch das Bemühen, die Andersheit des anderen nicht nur bloß akzeptierend anzuerkennen, sondern sich auf aktiv einfühlende Weise damit zu verbinden, in dem Versuch, das Erleben der andren Person so nachzuempfinden, wie die andere Person es erlebt.
  • Noch mehr Nähe entsteht in einem Zustand der Entgrenzung zueinander, in dem sich die Abgrenzung zu anderen Person tendenziell lockert und partiell auflöst, so dass es manche Bereiche gibt, in denen man sich fast ununterscheidbar innig verbunden mit der anderen Person fühlt.
  • Die intensivste Form von Nähe ist ein Erleben von Verschmelzung, in dem die Selbstgrenzen zeitweise oder dauerhaft aufgehoben sind und man sich mit der anderen Person eins bzw. als Einheit fühlt.

All diese Kontaktformen können je nach Situation und Konstellation durchaus angemessen und ressourcenvollen oder unangemessen bis pathologisch sein. Beispielsweise ist in einer innigen erotischen Begegnung das Erleben, mit einer geliebten Person eins zu sein, etwas Wundervolles und überaus Erfüllendes. Und wenn man im sozialen oder politischen Bereich mit massiv destruktiven, gefährlichen Tendenzen konfrontiert ist (ich denke hier z.B. an organisierte Kriminalität oder militanten Rassismus), so kann es unvermeidbar sein, diese Tendenzen aktiv zu bekämpfen.

Empathie

Für die biodramatische Arbeit ist die Kontaktebene der Empathie von besonderer Bedeutung. Hier können wir wiederum mehrere Ebenen von Empathie unterscheiden:

  • Wenn Menschen einen Konflikt miteinander haben, so neigen sie zunächst oft dazu, die andere Person in Form eines Zerrbildes, also als Karikatur Dies geschieht beispielsweise, wenn ein Mann, der mit seiner Frau zerstritten ist, diese als „hinterhältige Schlange“ oder sie umgekehrt ihn als „Elefant im Porzellanladen“ wahrnimmt.
  • Wenn wir in der Wahrnehmung der anderen Menschen lediglich an der Oberfläche bleiben, so sehen wir diese zunächst in Form ihres sozial angepassten Selbst. In Begriffen der jungianischen Psychologie gesprochen handelt es sich um die soziale Maske. Damit ist die offizielle, nach außen hin präsentierte Identität eines Menschen gemeint, also die Rolle, die er im sozialen Leben normalerweise spielt.
  • Unterhalb der Maske finden sich bei jedem Menschen Anteile, die verleugnet, vermieden oder abgewehrt werden, etwa weil sie der Person peinlich, sind oder ihren ethischen Wertvorstellungen widersprechen und daher in der Regel nur selten, etwa in Situationen von massivem Stress aktiviert werden. In der jungianischen Psychologie heißen diese Anteile der Schatten.
  • Dann sprechen wir in der Psychologie gerne vom inneren Kind. Damit sind alte Muster gemeint, die durch soziale Lernerfahrungen in der Kindheit entstanden sind, die aber auch im Erwachsenen noch immer vorhanden und aktivierbar sind. Wenn ein Mensch vorübergehend oder längerfristig primär auf einer kindhaften Ebene funktioniert, sprechen wir von einer „Regression“.
  • Als tiefste Schicht des Menschen sprechen wir metaphorisch von seinem Kern. Damit sind seine ressourcenvollen, liebevollen, kreativen und konstruktiven Anteile gemeint in der (humanistischen) Idee, dass es jedem Menschen primär darum geht, gemeinsam mit anderen ein schönes Leben zu haben und zu gestalten. (Damit die verschiedenen Formen von Sozialpathologie und Destruktivität wie z.B. kriminelle Psychopathie nicht geleugnet, aber als tragische Produkte psychosozialer Verzerrungen im Laufe der Biografie betrachtet.)

Existenzielle Empathie

In dem Versuch, sich in einen anderen Menschen (oder auch in Anteile der eigenen Person) empathisch einzufühlen können wir unterschiedliche Tiefenebenen unterscheiden, die in ihrer Gesamtheit als „existenzielle Empathie“ bezeichnet werden:

  • Geistige Empathie ist der Versuch, sich in die Denkweise eines anderen Menschen hineinzudenken, also nachzuvollziehen, wie dieser auf einer kognitiven Ebene die Welt und sich selbst in der Welt wahrnimmt und darüber denkt.
  • Körperliche Empathie ist der Versuch, sich somatischen in die andere Person einzufühlen in dem Bemühen, nachzuspüren, wie diese Person sich in ihrem Körper fühlt, und um auf diese Weise vertieften Zugang zum gesamten Erleben dieser Person zu erlangen.
  • Emotionale Empathie ist der Versuch, die Gefühle, Bedürfnisse und Zustände der anderen Person durch einfühlende Identifizierung zu erfassen.
  • Kontextuelle Empathie besteht in dem Versuch, nicht nur die andere Person als Individuum, sondern auch in seinen sozialen Bezügen und gesellschaftlichen Funktionen, empathisch zu erfassen, was auch das Erleben der Beziehung zum Patienten selbst einschließt.
  • Biografische Empathie versucht, die andere Person in ihrem Gewordensein durch ihre Lebensgeschichte zu erfassen und durch die identifikatorische Kontaktaufnahme mit der biografischen Vergangenheit des anderen Menschen zu verstehen, was und wie dieser im Hier und Jetzt erlebt und handelt.
  • Psychodynamische Empathie ist der Versuch, in der psychotherapeutischen Identifizierung mit der anderen Person tiefer in diese hineinzuspüren, als diese selbst das vermag. (Das mag, vor allem wenn man das noch nicht erlebt hat, vermessen oder auch unmöglich erscheinen. Es scheint jedoch so zu sein, dass wir auf dem Wege der psychovegetativen Resonanz mehr von anderen Personen wahrnehmen und speichern, als wir kognitiven Wissen, ja sogar mehr als diese Person selbst von sich kognitiv weiß. Die durch psychodynamische Empathie gewonnenen, intuitiv erfassten Tiefenwahrnehmungen sind für Therapiepatienten oft unmittelbar evident und für therapeutische Prozesse mitunter außerordentlich fruchtbar.)

Pseudo-Empathie

Neben konstruktiven, beziehungsfördernden Formen von Empathie gibt es eine Reihe von Formen verzerrter Pseudo-Empathie, die im zwischenmenschlichen Bereich eher Probleme erzeugt als zu deren Lösung beizutragen:

  • Nur-rationale Pseudo-Empathie ist der Versuch, auf einer bloß verstandesmäßigen Ebene das Erleben und die Motivation der anderen Person ohne große emotionale Beteiligung quasi bloß „nachzudenken“.
  • Karikierende Pseudo-Empathie ist die Verwechslung des Gegenüber mit einem (in der Regel abgewerteten) Zerrbild, also in oben erwähntem Beispiel der Versuch der Einfühlung in das Bild der „hinterhältigen Schlange“ oder des „Elefanten im Porzellanladen“.
  • Auch projektive Empathie führt nicht zu einem Mitfühlen und Nachspüren des Erlebens der anderen Person, vielmehr werden auf den anderen zunächst (in der Regel abgewehrte) eigene Persönlichkeitsanteile projiziert, in die man sich dann schein-empathisch einfühlt. Das Resultat ist, dass man in dem anderen etwas mitzufühlen glaubt, was aber in Wirklichkeit ein abgewehrter, verleugneter Aspekt der eigenen Person ist (z.B. Missgunst, Verachtung, Konkurrenz, Intriganz o.ä.).
  • Zerfließende Pseudo-Empathie entsteht aus der Illusion der Verschmolzenheit mit der anderen Person und der Tendenz, die eigene Identität, die eigenen Bedürfnisse oder Standpunkte weitgehend aufzugeben um der anderen Person so nahe wie irgend möglich, ja mit ihr eins sein zu können (z.B. wenn ein Mensch sich pseudo-einfühlsam gegenüber einem Ehepartner oder Vorgesetzten verhält, der ihn aber übel misshandelt oder anhaltend entwertet).

Wodurch entstehen Konflikte?

Konflikte entstehen in der Regel in Form von festgefahrenen oder endlosen Rundlauf-Streits, die aus einer eskalierenden oder ritualisiert-eingefahrenen Abfolge aus Angriffen und Rückzügen bestehen.

Oft erscheint es im Konflikt so, also ob dieser durch unvereinbare Standpunkte, Meinungen oder Bedürfnisse entsteht (Beispiel: die Frau will im Urlaub ans Meer, der Mann in die Berge). Aber durch Differenzen dieser Art werden zunächst einmal nur Unterschiede deutlich, die nicht unbedingt zu einem Konflikt führen müssten, sondern durch konstruktive Abstimmung miteinander eigentlich auch zu einer spannenden gegenseitigen Befruchtung beitragen könnten.

Unter einem humanistischen Gesichtspunkt haben Konflikte, die ohne Hilfe nicht zu lösen sind, und daher zum Thema in der Psychotherapie werden, vor allem folgende Quellen:

  • mangelnde Empathie (also eine mangelnde Fähigkeit, sich in die andere Person stimmig einzufühlen und ihre Gefühle, Zustände und Motive zutreffend und akzeptierend nachzuempfinden),
  • mangelnde Selbstempathie (mangelnde Fähigkeit, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse auch in ihren Ambivalenzen klar und differenziert wahrzunehmen),
  • mangelnde Kongruenz (mangelnde Klarheit des verbalen und nonverbalen Ausdrucks durch undifferenzierte Sprache und durch mangelnde Übereinstimmung zwischen der verbalen und der nonverbalen Ebene der Vermittlung).

Kongruenz und Inkongruenz

In der humanistischen Psychotherapie wird zwischen innerer und äußerer Kongruenz unterschieden:

  • Innere Kongruenz meint die Übereinstimmung der Gefühle und Bedürfnisse eines Menschen mit seinen verbalen und nonverbalen Mitteilungen. Es geht hier also um die Frage, ob und in welchem Umfang die Person sich über ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse im Klaren ist, und ob und in welchem Umfang sie diese der anderen Person auch tatsächlich mitteilt.
  • Unter äußerer Kongruenz verstehen wir die Übereinstimmung zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation. Hier geht es also darum, ob das, was ein Mensch sprachlich-inhaltlich sagt, damit übereinstimmt, auf welche Weise er das nonverbal vermittelt. Wenn verbale und nonverbale Kommunikation übereinstimmen, ist die Mitteilung klar und deutlich. Sagt jemand mit Worten das eine, drückt aber durch die Stimmlage, Körperhaltung, Gestik und/oder Mimik etwas anderes aus, so entsteht ein „Double-Bind“. Dies kann durchaus beziehungsfördernd sein, z.B. beim freundlichen Frotzeln („Einander-auf-die-Schippe-Nehmen“) oder auch beim Flirten. Im Konflikt dagegen können Double-Binds zu massiven Verwirrungen führen.

Ein wichtiger Aspekt in der psychotherapeutischen Arbeit mit Konflikten ist es, den Patienten zu unterstützen, sich auch im Konflikt respektvoll und kraftvoll, klar und kongruent auszudrücken:

  • Respektvoll bedeutet, mit dem Gegenüber auch im Konflikt auf eine Weise umzugehen, die diesen als Menschen und in seinem momentanen Erleben und Wollen akzeptiert und mit Würde behandelt.
  • Kraftvoll bedeutet, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse in ihrer wahren emotionalen Intensität (aber nicht aggressiv) zu vermitteln und auf diese Weise persönliche Präsenz zu zeigen.
  • Klar bedeutet, sich nachvollziehbar, präzise und differenziert auszudrücken, damit die andere Person versteht, was gemeint ist.
  • Kongruent bedeutet zu vermitteln, was man wirklich fühlt und auf der verbalen und der nonverbalen Ebene dieselbe Botschaft zu übermitteln.

Projektive Gefühlsäußerungen

Wenn wir den Patienten dabei unterstützen, sich kongruent, also klar und stimmig auszudrücken, ist es wichtig, auf projektive Gefühlsäußerungen zu achten, die im Konflikt in aller Regel dysfunktional sind und zu Verwicklungen führen, z.B.:

  • „Ich fühle mich von dir abgelehnt.“
  • „Ich fühle mich verletzt.“
  • „Ich fühle mich von dir verraten.“
  • „Ich fühle mich nicht gesehen.“
  • „Ich fühle mich nicht geliebt.“
  • „Ich fühle mich angegriffen.“
  • „Ich fühle mich von dir auf Abstand gehalten.“

Hierbei handelt es sich um (in der Regel anklagende oder entwertenden) interpretierende Aussagen über die andere Person, die aber sprachlich so formuliert sind, als ob es Mitteilungen eigener Gefühlszustände seien. Z.B. bedeutet der Satz „Ich fühle mich von dir abgelehnt“ eigentlich: „Ich interpretiere dein Verhalten so, als ob du mich ablehnen würdest“. Aussagen dieser Art fallen in Streitgesprächen ständig und tragen in aller Regel zur Unlösbarkeit des Konfliktes bei.

Es ist wichtig, dass der Psychotherapeut projektive Kommunikationsmuster schnell erkennt, sich über ihre Problematik bewusst ist und den Patienten dann auffordert, möglichst über sich selbst und nicht (verdeckt) über den anderen zu sprechen („Ich-Botschaften statt Du-Botschaften“). Der Therapeut könnte den Patienten beispielsweise fragen, wie es ihm eigentlich damit geht, wenn er sich von der anderen Person abgelehnt/verletzt/verraten/nicht gesehen/nicht geliebt/angegriffen/auf Abstand gehalten o.ä. fühlt. Dann könnte er den Patienten einladen, dem Gegenüber im biodramatischen Rollenspiel diese Gefühle und Bedürfnisse in Form von Ich-Botschaften kongruent zu übermitteln.

Konfliktbearbeitung

In einem Konflikt befinden sich in der Regel beide Konfliktpartner in einer Position, in der sie „auf der Palme“ sind, d.h. in einem emotionalen Erregungszustand, in einer latenten Bereitschaft zum Kampf oder zum Rückzug. Diese Dynamik manifestiert sich nicht nur auf der psychischen und der Beziehungsebene sondern auch im Körper beider Personen in Form einer Reihe von Stresshormonen (vor allem Adrenalin und Cortisol), die im Körper zirkulieren, dort die aggressiven Impulse verstärken, die selbstkritische, reflektierende Distanz vermindern, die Verwicklungsgefahr erhöhen und – einmal aktiviert – eine ganze Weile brauchen, um aus dem biologischen System wieder zu verschwinden.

Sich in einem Konflikt, der als momentan unlösbar oder festgefahren erlebt wird, anders zu verhalten, als man das normalerweise spontan tut (in der Regel in Form von Anklage vermischt mit Verschweigen), also über seinen eigenen Schatten zu springen, ist daher schwierig und erscheint mitten im Streit oft nahezu unmöglich. Ebenso wie es physikalisch unmöglich ist, über den Schatten hinweg zu springen, den man im Licht wirft, kann man auch über seinen psychologischen Schatten letztlich nicht hinwegspringen, man kann nur in ihn hineinschauen mit der inneren Einstellung: „So bin ich auch. Das habe ich auch in mir.“ Allerdings – obwohl jeder reife Mensch im Grunde weiß, dass das in einem Konflikt eigentlich hilfreich und erforderlich wäre, gilt hier der alte Satz:

„Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Theorie nicht so groß ist wie in der Praxis.“

D.h., man weiß Vieles zwar kognitiv, aber das eigentlich Gewusste dann im Konflikt umzusetzen, ist sehr schwer und erfordert dann manchmal therapeutische Hilfe.

In der psychotherapeutischen Arbeit mit Konflikten ist es nicht ausreichend, bloß mit einer Verhaltens-oder Imaginationstechnologie zu arbeiten und/oder eine metapsychologische Theorie zur Verfügung zu haben, sondern es erfordert eine humanistische Philosophie der Verständigung, die eine „aktive Friedenspolitik“ in persönlichen Beziehungen überhaupt erst ermöglicht. Das Wissen darüber, wie eine Wiederannäherung und Klärung im Konflikt funktionieren kann, ist Jahrtausende alt, muss aber von jeder Generation und von jedem Menschen in seinem Leben immer wieder mühsam erarbeitet und jedes Mal aufs Neue innerlich in Auseinandersetzung mit sich selbst und dem anderen errungen werden.

Der Schlüssel zur Konfliktlösung ist das Mitgefühl, also die Fähigkeit zum empathischen Sich-Einfühlen in das Gegenüber (unter Beibehaltung der eigenen Identität) auch mitten in der Hitze, Kälte oder Betäubung des Konflikts. Das ist alles andere als einfach, und mitten in einem Konflikt kann dieser scheinbar so einfache Schritt den Konfliktpartnern als nahezu übermenschlich erscheinen.

Mitgefühl ist etwas ganz Einfaches, das aber im Konflikt schwer zu machen ist.

Aber was ist die Alternative? Die Alternative zu einer konstruktiven Konfliktklärung ist entweder anhaltendes Leid oder der Kontaktabbruch (der jedoch mit Personen, die einem emotional nahe stehen zwar äußerlich möglich, innerlich aber auf die Dauer nahezu unmöglich ist). Mitgefühl zur Konfliktklärung erfordert die Bereitschaft, sich mit vermiedenen oder abgewehrten Anteilen der eigenen Person auseinanderzusetzen.

Jedoch sind wir blind für unsere eigenen Schatten, für unsere eigenen blinden Flecken. Was wir vermeiden, verleugnen oder abwehren, können wir nicht sehen (oder wollen wir es nur nicht sehen?) Aber wir finden das, was wir in uns selbst nicht wahrnehmen können oder nicht wahrhaben wollen, regelmäßig in den Menschen gespiegelt, mit denen wir Konflikte haben. Das Gegenüber im Konflikt ist der Spiegel unseres eigenen Schattens.

Praxis der körperpsychotherapeutischen Konfliktbearbeitung

In der körperorientierten Psychotherapie zur Konfliktklärung können wir uns diesen Zusammenhang nutzbar machen, indem wir einen Patienten mit einem ungelösten Konflikt bitten, sich in eine Ich-Anker-Position zu begeben (d.h. z.B. sich auf einen von zwei leeren Stühlen, Hockern, Kissen, Decken o.ä. zu setzen oder zu stellen) und auf dem anderen Anker das Gegenüber seines Konflikts zu imaginieren. Sodann können wir den Patienten einladen, sich auf die Ankerposition des Gegenüber zu begeben und zunächst körperlich die Haltung dieser Person zu spiegeln, um es dem Patienten zu erleichtern, Zugang zur inneren Welt des Konflikt-Gegenüber zu erlangen. Dann laden wir den Patienten ein, sich durch die verschiedenen Ebenen der Empathie hindurch in das Gegenüber hineinzuspüren: geistig, körperlich, emotional, kontextuell, biografisch und psychodynamisch.

In aller Regel verschwindet schon dadurch das vorher als unverständlich, abstoßend oder moralisch verwerflich empfundene „Feindbild“ des anderen und verwandelt sich in das empathisch nachvollzogene Erleben einer Person-wie-ich, die ebenso wie der Patient selbst sich z.B. verletzt, bedürftig, schwach, verwirrt o.ä. fühlt und im Grunde nur das Bedürfnis hat, mit anderen Menschen (auch mit dem Patienten) zusammen einen schönes Leben zu gestalten.

Wenn der Patient dann vom Gegenüber-Anker wieder zurück in dich Ich-Position wechselt, ist es von entscheidender Wichtigkeit, die im Gegenüber empathisch-intuitiv erspürten Informationen „mitzunehmen“, damit sie ihm auf dem Ich-Anker weiterhin zur Verfügung stehen (was in der Regel nicht einfach ist und viel Unterstützung durch den Therapeuten erfordert). Diese Übung hilft dabei, festgefahrene Konflikte in Bewegung zu bringen und das Feindbild des Gegenüber zu verwandeln in das Antlitz eines realen und ebenfalls leidenden Menschen, was bereits eine gewisse Wiederannäherung mit dieser Person ermöglicht.

Empathischer Dialog

Der empathische Dialog ist ein humanistisches Konzept der Konfliktbearbeitung, in das unter anderem der Kerngedanke der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg eingeht. Das Prinzip ist außerordentlich einfach, aber wie viele Dinge, die einfach erscheinen, ist es in der Praxis, vor allem mitten in einem Konflikt, schwer umzusetzen. Es erfordert daher intensive Unterstützung durch den Therapeuten:

1.) Als erster Schritt wird der Patient eingeladen, sich wie oben beschrieben in die andere Person, mit der er einen Konflikt hat, per Anker-Arbeit identifizierend-empathisch einzufühlen, um auf diese Weise das Erleben der anderen Person quasi von innen her nachzuspüren. (Das klingt einfach, kann aber in einem Konflikt überaus schwierig sein. Man empfindet unweigerlich einen starken Unwillen, ja eine Abscheu, also eine innere Barriere dagegen, sich in das Konflikt-Gegenüber hineinzuspüren. Dieser Widerstand entspricht intrapsychisch den Abwehrprozessen gegen die eigenen Schattenanteile.) Sodann wird der Patient eingeladen, sich mit den empathisch gewonnenen Informationen auf die Ich-Position zurückzubegeben und von dort aus dem Gegenüber im Konflikt „Empathie zu geben“ (Rosenberg), d.h. zu versuchen, dessen Erlebensweise übungsweise im Rollenspiel kongruent zu spiegeln. Hierbei ist es wichtig, dies stets in Frageform zu tun: „Könnte es sein, dass du … fühlst bzw. brauchst …?“, denn selbst mit noch so viel intuitiver Empathie kann der Patient genau genommen nicht wissen, wie es seinem Gegenüber im Konflikt wirklich geht. Er kann sich teilweise irren, ja sogar das Erleben der anderen Person vollkommen verfehlen. Aber selbst in letzterem Fall wird in der Alltagsrealität das Gegenüber das Bemühen des Patienten spüren, sie oder ihn verstehend wahrzunehmen, was auch dann zur Konfliktvermittlung beiträgt, wenn die Empathie nicht oder nicht ganz zutreffend ist.

Rosenberg betont zu Recht, dass es in einem realen Konflikt erforderlich ist, dem anderen als ersten Schritt zunächst Empathie zu geben, weil dieser erst dann eventuell bereit ist, „ein Ohr“ für die Gefühle und Bedürfnisse des Patienten zu haben.

2.) In einem zweiten Schritt wird der Patient eingeladen, sich in sich selbst einzufühlen („Selbstempathie“ zu entwickeln) um sich seiner eigenen Gefühle und Bedürfnisse klar und differenziert bewusst zu werden. (Dies kann durchaus auch Ambivalenzen beinhalten. Klarheit bedeutet nicht Eindeutigkeit – im Gegenteil ist es in der Regel hilfreich, auch unterschiedliche, miteinander in Konflikt stehende eigene Anteile möglichst präzise zu erfühlen und Worte dafür zu finden.) Anschließend wird der Patient ermutigt, seine eigenen Gefühle und Bedürfnisse im biodramatischen Rollenspiel dem Gegenüber kongruent zu vermitteln.

Balancing

In der körperpsychotherapeutischen Arbeit mit Konflikten hat es sich bewährt, zwischen den drei Elementen

  • Gefühl,
  • verbaler Ausdruck und
  • nonverbale Ausdruck

hin und her zu arbeiten:

  • Der Patient kann beispielsweise eingeladen werden, die Gefühle, und Bedürfnisse, die er in Bezug auf sein Gegenüber im Konflikt verspürt, deutlich wahrzunehmen und diese dann verbal auszudrücken. Wenn der verbale und der nonverbale Ausdruck nicht kongruent sind, kann der Patient eingeladen werden, sich dieser Inkongruenz bewusst zu werden. Oft verbirgt sich dahinter eine Ambivalenz auf der Ebene der Gefühle oder Bedürfnisse. Dann kann der Patient eingeladen werden, diese Ambivalenz differenziert verbal auszudrücken und auch nonverbal kongruent zu vermitteln.
  • Oder der Therapeut glaubt, etwas im nonverbalen Ausdruck des Patienten wahrzunehmen, worüber der Patient im Moment nicht spricht, oder was diesem nicht oder vielleicht nur vage gegenwärtig ist, zum Beispiel einen traurigen, genervten, gehemmten oder beschämten Augen- oder Körperausdruck oder eine entsprechende Stimmlage. Der Therapeut könnte dann dem Patienten seine Wahrnehmung auf fragende Weise (auch der Therapeut kann sich hier nie sicher sein) spiegeln und die Aufmerksamkeit des Patienten auf dessen inneres Empfinden lenken, um den Patienten einzuladen, zu überprüfen, ob er diese Empfindungen in sich wahrnehmen kann um sie dem Gegenüber dann im biodramatischen Rollenspiel kongruent zu vermitteln.

So entsteht ein spielerisches Ausbalancierten („Balancing“) zwischen der Selbstempathie des Patienten und kongruenten Mitteilungen, was die Fähigkeit des Patienten zu konfliktvermittelnder Interaktion fördert.

Arbeit mit dem inneren Kind

Biodramatische Rollenspiele und Interaktionsübungen können nicht nur zur Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegenüber im Konflikt, sondern auch zur Auseinandersetzung mit oder zwischen inneren Anteilen des Patienten selbst genutzt werden. Ein Anteil, mit dem in der Psychotherapie häufig gearbeitet wird, ist das „innere Kind“ sowie sein Gegenstück, der „verinnerlichte Elternteil„.

Natürlich handelt es sich dabei nicht, wie die metaphorischen Bezeichnungen suggerieren könnten, um Entitäten in der Person des Patienten, sondern um Beziehungs-, Erlebens-und Handlungsmuster und verinnerlichte Vorstellungen („Imagines“), die alten, verinnerlichten Interaktionsstrukturen aus der Kindheit entstammen.

In Konflikten oder wenn der Patient vor schwer zu bewältigenden Aufgaben steht, ist sein „inneres Kind“ oft z.B. überfordert, entmutigt, hilflos, desorientiert, gekränkt oder verängstigt. Der dazugehörige, verinnerlichte Elternteil (das sind nicht die wirklichen Eltern, sondern die Vorstellung eines Elternteils, so wie es in einer bestimmten Interaktionsstruktur in der Kindheit erlebt und wahrgenommen wurde) wird dann z.B. als bestrafend, streng, abweisend, abwesend, desinteressiert oder entwerten wahrgenommen.

Durch biodramatische Rollenspiele können imaginierte Dialoge zwischen diesen Anteilen stimuliert werden um alte, verinnerlichte Konflikte tendenziell zu entschärfen. Zu diesem Zweck können vielfältige biodramatische Arbeitsweisen genutzt werden. Eine davon besteht darin, dass der Patient in seiner Identität als erwachsene Person eingeladen wird, im Rollenspiel dem traumatisierten oder hilflosen inneren Kind den Zuspruch, die Unterstützung oder andere Ressourcen zukommen zu lassen, die das „Kind“ in der imaginierten regressiven Situation braucht.

Der „Erwachsene“ könnte dem „Kind“ beispielsweise Präsenz und Begleitung zur Verfügung stellen, indem er sich in der biodramatischen Imagination neben das „Kind“ setzt, seine Hand nimmt, ihm Trost oder Unterstützung zuspricht. Das „Kind“ kann dabei entweder nur imaginiert werden, oder es kann durch Objektanker (z.B. ein Stofftier) repräsentiert werden. Umgekehrt kann der Patient selbst die Rolle des „Kindes“ einnehmen, während ihm der Therapeut die gebrauchte Zuwendung auf der Position des „Erwachsenen-Ich“-Ankers symbolisch gibt. Arbeitsweisen dieser Art wurden ausführlich von Chopich und Paul in ihrem Buch „Aussöhnung mit dem inneren Kind“ beschrieben. In der humanistischen Tradition wird diese Methode als „Reparenting“ („Neubeelterung“) bezeichnet.

Weitere Beispiele für biodramatische Anker

Ankertechniken können auf sehr vielfältige Weise eingesetzt werden. Beispielsweise können Stühle, Kissen, Ringe oder Stofftiere als Repräsentanten und zur imaginativen Identifikation benutzt werden für:

  • den Patienten und
  • ein Gegenüber in Konflikt, aber auch für
  • Anteile in der Person des Patienten Es können
  • Anker für in der Zukunft zu erreichende Zielzustände oder
  • für zu bewältigende Aufgaben eingesetzt werden. Weitere Anker können sogenannte
  • Mentoren repräsentieren, also reale oder imaginierte Personen, Krafttiere oder Naturkräfte, die den Patienten bei der Bewältigung einer anstehenden Aufgabe unterstützen können. Es können
  • Ressourcen Anker etabliert werden, die latente Fähigkeiten des Patienten zu Bewältigung eines Konflikts oder einer Aufgabe repräsentieren. Auch
  • der Therapeut oder
  • ein Coach, Supervisor oder Ratgeber kann zum Anker werden, in denen sich der Patient vorübergehend hineinversetzen kann, um sich mit seinen eigenen, reflektierenden Bewältigungsressourcen zu verbinden. Ein weiterer möglicher Anker ist die so genannte
  • Metaposition, also eine imaginierter Haltung, in der man aus einem am die angemessenen Abstand die Situation ohne allzu große emotionale Beteiligung betrachtet und dadurch Überblick gewinnt oder behält. Auch
  • der so genannte „sichere Ort„, mit dem vor allem Traumatherapeuten gern arbeiten, ist ein solcher Distanzierungsanker. In der Arbeit mit der biografischen Vergangenheit können Anker zur Repräsentanz des
  • Kind-ich und des
  • Eltern-ich genutzt werden, aber auch um beispielsweise
  • sehr frühes, babyhaftes Erleben zu repräsentieren, das noch nicht vollständig zwischen sich und der Umwelt unterscheiden kann.

Die Arbeit mit solchen biodramatischen Ankertechniken erfordert eine gründliche körperpsychotherapeutische Ausbildung vor humanistischen Hintergrund und sollte auf keinen Fall als bloße pragmatische „Quick-Fix“-Technik angewandt werden.

Werner Eberwein